Vor 30 Jahren verwandelte der Wahl-Franzose Peter Klasen den Kremer-962 #CK6/06-2 bei den 58. 24 Stunden von Le Mans am 16./17. Juni 1990 in ein 330 km/h schnelles Kunstobjekt. Der Rennsportwagen soll später, nach einem Brandschaden, noch einmal neu aufgebaut worden sein. Carsten Krome über einen Gruppe-C-Porsche mit eindeutiger Warnsymbolik: “Vorsicht, ätzend!”

Bei den 24 Stunden von Le Mans 1990 verwandelte der Wahl-Franzose Peter Klasen den Kremer-Porsche 962 CK6 in ein 330 km/h schnelles Kunstobjekt. Inzwischen soll das Chassis #CK6/06 nach einem Brandschaden restauriert worden sein. Archivbild: Jens Torner, Historisches Archiv Porsche AG

Sie sind so etwas wie der heilige Gral für alle Menschen, die von Schönheit und Schnelligkeit fasziniert sind, die in pure Ästhetik und wertvolle Automobile gleichermaßen investieren wollen, die idealerweise beides miteinander kombinieren: Rennwagen und Kunstobjekte. Es war der französische Auktionator und Rennfahrer Hervé Poulain, der 1975 die Idee eines “Art Cars” auf den Punkt brachte und seinem Landsmann Jean Todt vortrug. Dieser wiederum stellte die Verbindung zum BMW-Rennleiter Jochen Neerpasch her. Und so kam es, dass der US-Amerikaner Alexander Calder im gleichen Jahr ein BMW-Coupé gestalten durfte, das sogleich an den 24 Stunden von Le Mans teilnahm. Es folgte eine Reihe berühmter BMW-Rennmodelle, 1979 gekrönt von Andy Warhols M1. Der Star der Pop-Art bemalte den Gruppe-4-Boliden binnen weniger Minuten in dick aufgetragenen Farben – mehr eine Performance als ein von langer Hand angelegter Schöpfungsakt. Warhol hinterließ über das für längere Zeit unterbrochene BMW-Engagement hinaus eine breite Spur. Diese führte elf Jahre später zu einem Porsche-Kunstprojekt bei den 24 Stunden von Le Mans 1990, bei dem ein anderer Protagonist der Pop-Art den Faden aufnahm: der 1935 in Lübeck geborene Wahl-Franzose Peter Klasen.

Der zu diesem Zeitpunkt 55-Jährige thematisierte die technisierte Welt in all ihrer Kühle und mitunter unmenschlichen Leere, zum Beispiel durch den Einsatz gemeinhin bekannter Warnsymbole. Peter Klasen war beseelt davon, einen High-Tech-Rennwagen wie den zu dieser Zeit dominanten Porsche 962 zum Medium seines Schaffens zu erheben. 1990 sollte er die Gelegenheit erhalten, bei den 24 Stunden von Le Mans über ein komplettes Fahrzeug zu verfügen und so an die Tradition der Art Cars von BMW anzuknüpfen. Das Fahrzeug, dass er seiner Projektarbeit “Oxidizing Agent”, sprich: Oxidationsmittel, widmete, stammte von Porsche Kremer Racing aus Köln. Erwin Kremer hatte zu seinen Lebzeiten gemäß eigener Zählung exakt 129 Rennwagen auf den Weg gebracht – so auch den CK6, eine Ableitung des Porsche 962C aus eigener Fertigung. Thompson lieferte das Monocoque, die Linienführung der Karosserie wich deutlich vom Werksstandard ab. Die Hinterräder waren fast vollständig verkleidet, das zweiteilige Heckflügelblatt ruhte auf einer zentralen Stütze, und auch die Fronthaube mit ihren auffallend formschön eingebetteten Hauptscheinwerfern rückte alte Sehgewohnheiten zurecht. Kremer Racing ließ das Chassis #CK6/06-2 zum Art Car umgestalten, bei den 24 Stunden von Le Mans 1990 pilotiert von Philippe Alliot (F)/Bernard de Dryver (B)/Patrick Gonin (F). Das Trio ging von der 19. Position aus ins Rennen zweimal rund um die Uhr. Nach 24 Rennstunden war der 16. Gesamtrang erreicht – vielleicht nicht unbedingt ein Resultat für die Annalen des ganz großen Motorsports, dafür jedoch ein Fingerzeig: 15 Jahre, nachdem an der Sarthe das erste Art Car gestartet war, bescherte Peter Klasen der Welt ein weiteres rasendes Kunstwerk – und mittelfristig ein Sammlerobjekt ersten Ranges doch dazu. Wäre da nicht ein Brandschaden gewesen, der das Chassis #CK6/06-2 einige Zeit nach der erfolgreichen Zieldurchfahrt bei den 58. 24 Stunden von Le Mans heimgesucht haben soll. Jedenfalls verschwand der Gruppe-C-Bolide von der Bildfläche.

2014 tauchte er überraschend wieder auf, und auch Peter Klasen, inzwischen 80-jährig, war abermals mit von der Partie. Er hatte die Anfrage erhalten, das neu aufgebaute Chassis #CK6/06-2 noch einmal mit seiner Arbeit “Oxidizing Agent” zu versehen – und zugesagt. Der Neuaufbau des einstigen Brandopfers erfolgte unter der Federführung des früheren Kremer-Chefmechanikers Günther Thiele im Umland von Aachen – in der Kaiserstadt ist auch eins von Peter Klasens maßgeblichen Werken (“Colonnes sèches d’incendie”) in der Sammlung Ludwig ausgestellt. Damit schließt sich der Kreis. Ein handverlesenes Art Car auf Porsche-Basis bei den 24 Stunden von Le Mans ist zurückgekehrt – so manche seiner Einzelteile mussten in den Kellern alt gewordener Privatpersonen ausfindig gemacht, geprüft und schließlich verbaut werden. Zu einem Kunstwerk auf Rädern gehört die Option, auf dem Geschwindigkeitsniveau der damaligen Zeit Rennen fahren zu können. Auch ohne das Langheck, mit dem Porsche den Typ 956 ab 1982 ausgestattet hatte, sind nach der Entschärfung der Hunaudières-Geraden immer noch 330 km/h erreicht worden. Dieser Teil des Mythos ist existenziell und mit höchster technischer Verantwortung verbunden. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen des pfeilschnellen Oxidationsmittels müssen sämtliche Systeme so funktionieren wie einst. Die kleinste Ausfallerscheinung könnte tödlich enden. Genau das ist es, was Peter Klasens Auseinandersetzung mit unserer technisierten Welt in all ihrer Kühle und mitunter unmenschlichen Leere ausdrücken will. Er hat vor nunmehr 30 Jahren ein außergewöhnliches, höchst wirkungsvolles Trägermedium seines Schaffens gefunden – und nun schon zum zweiten Mal mit seiner Warnsymbolik versehen: “Vorsicht, ätzend!”

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins