Call me Eddy

Ein ehemaliger Funker der belgischen Armee, ein Norweger, ein US-amerikanischer Re-Import, eine Rennwerkstatt am Möhnesee im Sauerland: Dies sind die Bausteine einer multinationalen Projektarbeit in einer Parklandschaft mit britischem Flair. Die Zielsetzung: nicht unbedingt neu. Replikate des Carrera RS 2.7 Coupés existieren so lange wie das große Vorbild selbst. Die sprunghafte Wertentwicklung am Markt hat bestehende Maßstäbe zurechtgerückt. Inzwischen muss nicht mehr hinter vorgehaltener Hand zugegeben werden, dass es sich um einen Nachbau handelt und nicht um ein Originalfahrzeug. Was heute zählt, sind die Qualität der handwerklichen Ausführung und die Güte der Komponenten. In dieser Hinsicht ist das RS-Replikat in “Buschgrün 218” wirklich erstklassig. Vor allem ist das sauber gearbeitete Einzelstück eins: eines zehnjährigen Betriebsjubiläums angemessen.

Zurück im Garten des Hotels Haus Delecke am Möhnesee: Hier, im Sauerland, ergab sich im Frühsommer 2013 eins der ersten werk1-Fotoshootings. Jahre sind seitdem vergangen, und noch ein Jahr weiter zurück liegt der erste Besuch dieses Vier-Sterne-Hauses. Damals, am 15. März 2012, hatte Eddy Van den Bossche zum Geburtstagskaffee eingeladen. Und nun findet fast alles wieder zusammen: werk1-Produktionstermin mit dem gebürtigen Belgier in einer Parklandschaft, die auch in England gelegen sein könnte. Der Mann, der einmal Funker bei der Armee seines Heimatlandes gewesen ist, betreibt ganz in der Nähe eine Werkstatt von hohem Spezialisierungsgrad. Dort beschäftigt er sich mit Restauration, Wartung und Einsatz historischer Sport- und Rennfahrzeuge vom Ur-RSR bis hin zum 911 GT3 RS neuester Bauart. Im August 2005, im Alter von 37 Jahren, machte sich Eddy Van den Bossche nach den ersten Stationen in der Nobelwagen-Branche selbstständig. Anfangs spezialisierte er sich auf die Betreuung bedeutender Renn- und Sportwagen-Sammlungen im In- und Ausland, reiste quer durch Europa zu den Rennveranstaltungen der CER (Kurzform für Classic Endurance Racing, Red.), verlegte kurzfristig sogar seinen Wohnsitz in die Schweiz – und musste nebenbei seinen kleinen Sohn im Auge behalten. Auf die komplexe Startphase folgte eine Rückbesinnung auf seinen Standort hoch oben über dem Möhnesee. Im Herzen blieb der Weltenbummler weiterhin international aufgestellt. Das bemerkte auch ein Norweger, er ihn als Aussteller bei der Techno Classica in der Essener Messe ansprach. Er, der Skandinavier, befand sich seit einiger Zeit auf der Suche nach einem Handwerksbetrieb in Deutschland. Sein Ansinnen: einen 1973 als Neuwagen in die Vereinigten Staaten exportierten 911 2.4 TE mit 130 PS in ein Replikat des Carrera RS 2.7 umzuwandeln. Dies zu können, behaupten ja viele. Doch längst nicht alle gehen mit der nötigen Liebe zum Detail vor, mit professioneller Projektgestaltung, kurz: mit dem, was die Briten als “Dedication” – Hingabe -– bezeichnen würden.

Eddy Van den Bossches Exponate, mit denen er in der Essener Klassik-Ausstellung auf seine Tätiigkeit aufmerksam machte, zeigten Wirkung. Der Messebesucher aus Norwegen hatte seinen Dienstleister gefunden – die dargestellte Philosophie sagte ihm zu. Er fasste den Beschluss, das Basisfahrzeug auf eigener Achse aus seiner norwegischen Heimat an den Möhnesee zu tranportieren. Die Zielvorgaben: mehrere. Zum einen sollte die originalgetreue Rekreation des RS 2.7 geschaffen werden, zum anderen sollte die Werks-Auslieferungsfarbe des Basismodells – “Buschgrün 218” – reaktiviert werden. Diese war im Laufe der Jahrzehnte, wie kaum anders zu erwarten, übertüncht worden. In einem nachhaltigen, auf Backpulver basierten Verfahren nahmen sich Profis aus Hattingen an der Ruhr der Entlackung an. Während die Spezialisten das Blech schonend freilegten, tobte Eddy Van den Bossche sich in seinen heimlichen Paradediszipilnen aus: telefonieren, netzwerken, organisieren, beschaffen. Eine Leichtbau-Fronthaube aus Dünnblech, hintere, exakt auf Stoß anzuschweißende Seitenteile, Mitteltunnel-Verstärkungslaschen auf das Hinterachsrohr, das Glaverbel-Dünnglas, der Aluminium-Rahmen des Heckdeckels, der “Entenbürzel”-Spoileraufsatz aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff – all das trug er zusammen. Nachdem die entblößte Karosse aus Hattingen zurückgekehrt war, begab Eddy sich an die Überprüfung der kritischen Stellen. Die Batteriekästen und die – endoskopierten – Seitenschweller gaben zu keinerlei Beanstandungen Anlass. Der Gesamtumfang der Blecharbeiten hielt sich in Grenzen. Der überwiegende Teil galt den Verstärkungen und Verbesserungen, die seinerzeit in den Carrera RS 2.7 eingeflossen waren. Neben der Verbindung vom Mitteltunnel hinunter zum Hinterachsrohr mussten auch die Anlenkpunkte der kurzen Hinterachs-Schräglenker verlegt werden. Der Lackaufbau ging plangemäß in der Original-Werks-Auslieferungsfarbe “Buschgrün 218” vonstatten, und das dank des langjährigen Kooperationspartners Christian Rump in bester Ausführungsqualität. Diese Projektphase bot außerdem eine gute Gelegenheit, um den Motorenbau anzuschieben. Damit beauftragt: Manfred Rugen, eher als ein filigraner Uhrmacher denn als ein Maschinen-Zusammensetzer im herkömmlichen Sinne bekannt.

Rugen zauberte auf einem authentischen Magnesium-Gehäuse einen mechanischen Einspritzer des Typs 911/83 mit Magneti-Marelli-Doppelzündung. Im ummittelbaren Vergleich mit einem K-Jetronic-Motor mag diese Konfiguration im Benzinverbrauch ungünstiger sein. Doch nicht nur Eddy Van den Bossche stellt die Frage in den Raum, worauf es wirklich ankommt bei einem Projekt dieser Größenordnung. Deshalb muss an dieser Stelle der Verweis auf den 85 Liter fassenden Serien-Kunststofftank genügen. Dieser bewährt sich auch auf mittellangen Strecken, wenn der bis 7.200/min anzeigende Drehzahlmesser nicht fortwährend an seine Grenze getrieben wird. Dass mehr als die 210 PS des RS-Serienaggregats zur Verfügung stehen, bedarf keiner Erwähnung. Das Getriebe des Typs 915 mit zusätzlicher Ölpumpe entspricht denn auch in Art und Ausführung der Original-Schaltung im Carrera RS 2.7. Ein Sperrdifferenzial von ZF verbessert den Vortrieb in zügig durchfahrenen Kurven. Eingriffe in den Getriebetunnel waren, obwohl es sich bei der Ausgangsbasis bekanntlich um keinen RS 2.7 handelte, bis auf die spezifischen Verstärkungen nicht erforderlich. Der schräg nach hinten zeigende Schalthebel erlaubt präzise Gangwechsel, die Schaltwege sind verkürzt. Ein besonderes Schmankerl: die Halbschalen-Sitze mit auffälligen, silbernen Rändelschrauben zur Verstellung der Lehnen – in Kombination mit dem Vierspeichen-Lenkrad eine leicht archaisch anmutende Anordnung. Fast schon selbstverständlich, überdeckt grauer Leichtfilz-Teppich den frisch herausgeputzten Wagenboden. Ein Überrollbügel unterstreicht das klassische Motorsport-Flair, dem die Stoff-Mittelbahnen der Sitze keinesfalls widersprechen. Ganz im Gegenteil – selbst bei abgestelltem Motor klingt die Musik des erwachenden Sechszylinder-Boxers in den Ohren! Dass dieser beim ersten Dreh des Zündschlüssels anspringt, ist angesichts der Gesamtanmutung natürlich zu erwarten. Dass der Wagen, dem Entwicklungsstand seiner Zeit angemessen, überaus satt auf der Straße liegt, ist neben der Neujustierung der Drehfederstäbe auch auf Original-Bilstein-Stoßdämpfer zurückzuführen.

Dank der Leichtmetall-Bremssattelgehäuse aus dem 911 S ist an der Vorderachse festes Zupacken garantiert, und die Pirelli “P 6000” auf Fuchsfelgen in 7J x 15 vorn und 8J x 15 hinten sind ein weiterer Beitrag zu ungetrübtem Fahrvergnügen. Das Ergebnis zweijähriger Bauzeit ist dermaßen gut gelungen, dass der norwegische Kunde auf eine Anlieferung im geschlossenen Transportanhänger pochte. Diese erfolgte wenige Tage nach unserer Begegnung im Garten von Haus Delecke. Wir nahmen sozusagen eine der letzten Chancen war, das Schmuckstück noch einmal hierzulande zu Gesicht zu bekommen. Es steht zu erwarten, dass der RS-Nachbau in einer Sammlung zu stehen kommt. Eddy Van den Bossche sinnt derweil schon auf neue Taten. Einen Carrera RSR 3.0 im Look des legendären Brumos-Rennstalls von Peter Gregg aus Jacksonville, Florida, hat er im Vorlauf – und bald auch runden Geburtstag. Das gilt nicht für ihn selbst, sondern für seine kleine, feine Rennwerkstatt, die in Insiderkreisen längst ein Geheimtipp ist. Vor zehn Jahren hat er sie ins Leben gerufen, und ist dabei immer derselbe geblieben: kommunikativ, ganz und gar nicht unsympathisch, bestens vernetzt, das Handy stets in Reichweite. Sein multinationaler Wahlspruch könnte lauten: “Call me Eddy”. Das machen wir gern!

werk1 words: carsten krome
werk1 pics: carsten krome

die technische dokumentation in allen relevanten details

Fahrzeugtyp: 1973er 911 TE 2.4 Coupé (USA), Replikat des Carrera RS 2.7

Modelljahre (MJ): 1972/73

Fahrgestellnummer: 911 310 1546

Projektlaufzeit: zwei Jahre bis zur Auslieferung an den norwegischen Kunden

Karosserie (Serienfahrzeug): 2-türige, 2+2-sitzige, selbsttragende Karosserie aus Stahlblech; feuerverzinkte Bodengruppe; herausgezogene Radläufe; verchromte Türgriffe; an die Karosserie anliegende Stoßstangen; Heckdeckel mit schwarzem Lüftungsgitter; beim Coupé fest verschweißtes Stahldach; elektrisches Schiebedach auf Sonderwunsch

modellspezifische Ausstattungen MJ 1973 (Serienfahrzeug): Frontspoiler aus Kunststoff; schwarze Hupengitter neben den Blinkleuchten; eckige, verchromte Außenspiegel

Sonderaufbau Karosserie (CLASSIC MOTORSPORT Eddy Van den Bossche – Office: Am Sonnenhang 42, D-59519 Möhnesee): analog Carrera RS 2.7 Coupé (1972/73) mit Leichtbau-Fronthaube; auf Stoß verschweißten hinteren Seitenteilen sowie “Entenbürzel”-Heckspoiler auf Aluminium-Rahmen; Neulackierung in der Originalfarbe “Buschgrün 218” in Zusammenarbeit mit Rump GFK Formbau, Wilhelm-Lorenz-Straße 1, D-59590 Geseke; Mitteltunnel-Verstärkung zur Hinterachse analog Carrera RS 2.7 Coupé; Glaverbel-Dünnglas

Motortyp (Serienfahrzeug): 911 2,4 TE (130 PS)

Bauart: luftgekühlter Sechszylinder-Boxermotor; Einbauposition im Heck

Ventilsteuerung: ohc über Doppelkette; zwei Ventile pro Zylinder

Gemischaufbereitung: mechanische Kraftstoff-Einspritzung

Zündung: Hochspannungs-Kondensator-Zündanlage (HKZ)

Hubraum (Serienfahrzeug): 2.341 ccm

Bohrung (Serienfahrzeug): 84 mm

Hub (Serienfahrzeug): 70,4 mm

Verdichtung (Serienfahrzeug): 7,5 : 1

Motorleistung (Serienfahrzeug): 130 PS bei 5.600/min

maximales Drehmoment (Serienfahrzeug): 196 Nm bei 4.000/min

maximale Drehzahl (Serienfahrzeug): 6.800/min

Motor-Sonderaufbau durch Manfred Rugen Motorentechnik, Zum Buchenholz 12, D-27412 Hepstedt; e-Mail: info@rugen.de: Ausführung wie Motortyp 911/83 (Carrera RS 2.7; 210 PS bei 6.300/min; 2.687 ccm Hubraum) auf zwei Magnesium-Kurbelgehäuse-Hälften; Doppelzündung Magneti Marelli

Kraftübertragung: Fünfgang-Schaltgetriebe Typ 915 mit externer Ölkühlung; originales ZF-Sperrdifferenzial; Antrieb über Doppelgelenkwellen auf die Hinterräder

Bremssystem: innenbelüftete Scheiben (282,5 x 20 mm vorn und 290 x 20 mm hinten); 2-Kolben-Festsattel-Gehäuse (Typ-S-Zangen vorn)

Radaufhängungen (Vorderachse): einzeln an Bilstein-Stoßdämpferbeinen und Querlenkern; je Rad ein runder Drehfederstab in Längsrichtung liegend; Stabilisator (Sonderwunsch)

Radaufhängungen (Hinterachse): einzeln an kurzen Längslenkern wie Carrera RS 2.7 Coupé (nachgerüstet); je Rad ein runder Drehfederstab in Querrichtung liegend; Bilstein-Stoßdämpfer; Stabilisator (Sonderwunsch)

Räder (Serienfahrzeug): Fuchs-Flügelräder (6J x 15)

Räder (neu) Fuchs in 7J x15 vorn und 8J x 15 hinten

Reifen (Serienfahrzeug): Dunlop “SP Sport 200 E” (195/65-15)

Reifen (neu): Pirelli “P6000” (185/70-15 vorn und 215/60-15 hinten)

Interieur: schwarze Grundausstattung; Halbschalen-Sitze mit Stoff-Mittelbahnen und außen liegenden Rändelschrauben zur Lehnen-Verstellung; Leichtfilz-Teppichsatz; Vierspeichen-Lederlenkrad; Drehzahlmesser bis 7.200/min; Fußstütze fahrerseitig; Schaltwege-Verkürzung; Überrollbügel

Leergewicht nach DIN (Serienfahrzeug): 1.075 kg

Tankvolumen (Serienfahrzeug, MJ 1973): 85 l, davon 9 Reserve

Höchstgeschwindigkeit (neu): 245 km/h

Beschleunigung (neu, 0 – 100 km/h): 6,3 sec.