Es war ein offener Schlagabtausch. Nach zehn Rennen trennten Rolf Stommelen acht Punkte von seinem Verfolger, dem Elsässer Bob Wollek. Die Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft 1977 machte weltweit Schlagzeilen. Nicht nur die Fahrer zogen alle Register. Den Spitzenteams war der Erfolg einiges wert. Bob Wollek siegte im Kremer-935 K2 bei der Feuertaufe auf der Nürburgring-Nordschleife. Drei weitere Triumphe kamen hinzu. Doch das war einer zuwenig. Rolf Stommelen sicherte sich fünf erste Plätze – und den Titelgewinn. 30 Jahre nach dieser denkwürdigen Saison kehrte Wolleks Dienstwagen zurück. Auf neuer Karosserie aufgebaut, wird das Chassis #007 00016 für neue Taten präpariert. Im historischen Motorsport.

Am 2. Oktober 1977 fielen die Würfel im Titelkampf um die Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft. Am 11. Oktober 2007, 30 Jahre und neun Tage später, lief einer der damaligen Hauptdarsteller wieder. Der Vaillant-grüne Kremer 935 K2 turbo trat zur Testfahrt in Zolder an. Den belgischen Kurs verband viel mit der Rennsportmeisterschaft. 1977 fanden zwei von zehn Läufen auf dem Omloop Terlaemen statt: der Saisonauftakt am 13. März und die vorletzte Partie am 14. August. Die Sieger von Zolder: Manfred Schurti im März und Bob Wollek im August. Der Liechtensteiner Schurti steuerte den Jägermeister-935/77 turbo von Max Moritz, Wollek den Vaillant-935 K2. Dabei handelte es sich um eine Eigenleistung der Brüder Erwin und Manfred Kremer. Sie ließen bei Ekkehard Zimmermann eine aerodynamisch ausgefeilte Karosserie schneidern. Von ihrer Investition erhofften sie sich Handlingsvorteile. Gleich beim ersten Einsatz auf der Nürburgring-Nordschleife hängte Wollek seine Verfolger um Längen ab. Die von Rolf Stommelen vorgelegte Bestzeit im Gelo-Porsche unterbot der Elsässer um zehn Sekunden. In Kassel-Calden, beim Großen Preis von Deutschland auf dem Hockenheimring und in Zolder folgten weitere erste Plätze. Zusammen ergab das vier – einer zuwenig. Rolf Stommelen verbuchte fünf Erfolge für sich und Rennstallbesitzer Georg Loos. Damit lagen die zwei Brillenträger vorn.

Fünfmal Stommelen, viermal Wollek, einmal Schurti – zehn mögliche Siege verteilten sich auf drei Fahrer. Sie und ihre drei Teams beherrschten die Szene. Die Erfolgsrezepte unterschieden sich. Kremer setzte auf maximalen Anpressdruck in den Kurven. Während der Jägermeister-935 bis zum Saisonende über 3,2 Liter Liter Hubraum verfügte, blieb Kremer bei 2.857 ccm. Georg Loos nahm sich vor, beide Kontrahenten von rechts zu überholen. Seinen eigenen Personalbestand hielt er auf Sparflamme. Statt dessen übernahm die Werks-Kundensport-Abteilung die Betreuung bei den Rennen. Davon erhoffte sich Immobilienhändler Loos auch einen Wissensvorsprung. Obendrein kam sein Titeljäger Rolf Stommelen immer wieder in Werkswagen zum Einsatz, so zum Beispiel in Le Mans 1977. Dem Kölner wurde die Ehre zuteil, mit dem Martini-935 turbo den Start zu fahren. Vom Doppellader-Motor soll er in höchsten Tönen geschwärmt haben. 1977 verwendete ihn das Werk noch exklusiv. Die Kunden begnügten sich mit dem Monoturbo, der anfangs 590 PS leistete. Über diese Zahlen lachten Eingeweihte schon nach wenigen Rennen.

Der Einfachlader war ein Fall für sich. Seine Leistung entfaltete sich explosionsartig. Die Fahrer mussten austrainiert an den Start gehen wie Spitzensportler. Bob Wollek war Studenten-Skiweltmeister gewesen. Rolf Stommelen verbrachte viel Zeit im Rennradsattel. Max-Moritz-Pilot Edgar Doeren frönte bei Wind und Wetter dem Laufsport. Für Rennen fahrende Geschäftsleute oder Lebemänner brachen miese Zeiten an. 1977 ging als Geburtsstunde des Profitums in die Annalen des Produktionswagen-Rennsports ein. Selbstbewusst legte Kremer eigene Ideen in die Waagschale. 1976 war das Reglement der Gruppe 5 in der Marken-Weltmeisterschaft eingeführt worden. Martini-Porsche überraschte mit dem Flachschnauzer-935. Kremer zögerte nicht und ließ ebenfalls die Lampenhörner entfallen. Die Grundlagen für die Eigenkreation 935 K2 waren geschaffen. Ekkehard Zimmermann brachte zu Ende, was die anderen Porsche-Kunden zunächst für unmöglich hielten. 1975 legte der Designer erstmals seine Visitenkarte vor. Mit Kremer-Chefmechaniker Jimmy Grossmann baute Zimmermann einen 908/3 zum Doppelturbo um.

Ihrer ersten Referenz folgte 1977 der Vaillant-grüne 935 K2 turbo. Der konnte zum ersten Rennen nicht fertiggestellt werden. Zur Überbrückung kaufte Kremer einen der 13 Werks-Kundenwagen. Die 24 Stunden von Le Mans erlebte dieses Chassis Nummer 930 770 0903 mit Kremer-Bodywork. Die Vaillant-grünen Zierstreifen kamen bis zum Norisring-Rennen hinzu. Auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg kam ein Amerikaner zum Einsatz. Kremer verpflichtete Peter Gregg. Der US-Star erreichte den dritten Platz. Wollek fiel nach 13 Runden aus, Rolf Stommelen siegte. Wäre der Saisonhöhepunkt vor 100.000 Zuschauern anders ausgegangen, hätte Vaillant-Kremer die Meisterschaft nach Köln geholt. So ging sie an Georg Loos, den Erzrivalen aus der Domstadt. Es sollte nicht sein. Beim alles entscheidenden Finalrennen auf dem Nürburgring regnete es. Wollek jedoch wählte eine konsequente Abstimmung für trockene Fahrbahn. Der Poker ging daneben. Einem Bremer Holzhändler imponierte der Vizetitel. Louis Krages alias ”John Winter” saß 1978 in Wolleks Vorjahreswagen. Leider tat er das nicht allzu lange. Nach fünf Einsätzen zerstörte er Chassis Nummer 007 00016 nachhaltig. Kremer ließ Krages die Saison im Ersatzwagen zu Ende bringen.

1979 begann der Neuaufbau von Nummer 007 00016. Kremer bestellte eine Rohkarosse. Mit 14.500 D-Mark war sie damals preisgünstiger als die 15.000 Mark teuren Achswellen aus Titan. Die Kunststoff-Verkleidung war in dieser Rechnung nicht enthalten. Inzwischen glückte Zimmermann und Kremer der größte gemeinsame Wurf. Der Kremer-935 K3 siegte als erster Spezial-Produktionswagen in Le Mans. Seine Linienführung fiel noch markanter aus. Was lag näher, als den neu aufgebauten 935 K2 gleich auf neuesten Aerodynamik-Stand zu bringen? Edgar Doeren überzeugte sich bei einem Funktionstest noch 1979 von den Qualitäten des Interims-K3. Mit einem 934 turbo führte der Wuppertaler die Deutsche Rennsport-Trophäe an. Er und Geldgeber Weralit standen vor dem Absprung in die erste Liga. 1980 gelang dieser Schritt planmäßig im K3 von Kremer. Der Kreis schloss sich. 2006 vermeldete Erwin Kremer, Wolleks alter Vaillant-Renner sei wiederentdeckt worden. In den letzten Monaten seines Lebens identifizierte ihn der Teamchef. Und auch Ekkehard Zimmermann war zur Stelle, half tatkräftig mit. Treibende Kraft der Restauration: der Schwede Bo Strandell. In seinem Heimatland findet er regelmäßig Renngeräte, die von 1982 an nach Skandinavien verkauft worden sind. 

Hintergrund: 1982 war für die Spezial-Produktionswagen offiziell Feierabend. Die Gruppe C verdrängte sie. Bo Strandell vermittelte nach Nordeuropa, was in Deutschland nicht länger zu gebrauchen war. Er kennt die Quellen. Jedenfalls startete Landsmann Thorbjörn Holmstedt beim Le Mans Classic 2006 im grünen Vaillant-935 K2 turbo. Einige Zeit später lernte Ekkehard Zimmermann einen neuen Kunden kennen. Eberhard Baunach wollte wissen, was an seinem 996 turbo mit Tiptronic und Straßenzulassung sinnvoll sei. Er betrat Zimmermanns Werkhalle – und blieb an alten Rennplakaten an den Wänden kleben. Die meisten zeigten Szenen der siebziger Jahre. Das beherrschende Thema: die Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft. Zimmermann war bis zur Einführung der Gruppe C Marktführer gewesen. Der Porsche 956 zwang ihn, 1983 auf den Straßensektor umzusatteln. Für Besucher Baunach drängte sich eine Frage auf. Er stellte sie unverblümt: ”Existieren diese Autos noch?” – ”Und ob!”, antwortete der Karossier. ”Kommen Sie mal mit!”, forderte er Eberhard Baunach auf.

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Zu dieser Zeit betrieb Bo Strandell auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Werkstatt. Dort brachte er dem Vaillant-935 K2 letzten Schliff bei. Baunach, Jahrgang 1964, kam aus dem Staunen nicht heraus. ”Einen Aufkleber des Kremer-Porsche hatte ich zu meiner Schulzeit auf dem Tornister!” Er setzte alle Hebel in Bewegung. Bis zum Besitzerwechsel verging nicht eine Woche. Eberhard Baunach meinte es ernst, versicherte sich der Betreuung durch Kremer Racing. Nach Erwin Kremers Tod im September 2006 kam der Technische Direktor Uwe-Michael Sauer als Geschäftsführer ins Unternehmen zurück. Der 54-Jährige verfügt über viel Detailwissen aus der Ära 935. Baunach war das wichtig. Denn: Er wollte nicht nur eine Rennlegende besitzen, sondern auch damit fahren. Methodisch bereitete er seinen Einstieg in den historischen Sport vor. Tests in Spa-Francorchamps und am Schleizer Dreieck vermittelten erste Eindrücke. Zwischendurch beteiligte sich der Kölner an der Porsche Classic Car Trophy. Dort setzte Kremer Racing einen Carrera RS 3,0 für ihn ein. Der 935 K2 ist in der Trophy nicht startberechtigt.

Seine Meisterprüfung legte der Spätberufene in Zolder ab. Am 11. Oktober 2007 drehte er drei Netto-Stunden am Lenkrad. Hieß es nicht immer, der Monoturbo sei extrem schwierig zu beherrschen? In der kommenden Saison will Eberhard Baunach die Vaillant-Kremer-Saga neu beleben. 30 Jahre lang war Pause. 1978 startete zum letzten Mal ein Porsche im Grün des Heizkessel-Herstellers. Markenzeichen: der ”schnelle Hase mit den heißen Pfoten”, wie es im Jargon der Siebziger hieß. Der Schriftenmaler von einst hat ihn reanimiert. Auch die Original-Aufkleber existieren in zweiter Auflage. Schade nur, dass die Hauptdarsteller von 1977 die Rückkehr nicht miterleben können. Rolf Stommelen verunglückte 1983. Louis Krages nahm sich 2001 das Leben. Bob Wollek überrollte wenige Wochen später ein Wohnmobil, als er auf dem Rennrad saß. Edgar Doeren starb 2004 an Magenkrebs. Baunach ist sich der Aufgabenstellung wohl bewusst. Er tritt in große Fußstapfen. Und ist erfrischend gelassen dabei. ”Heutige GT3 RSR sind besser auf der Bremse”, zog er in Zolder Bilanz. ”Aber das bekommen wir auch in den Griff!”

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins

werk1 tech-data

Typ: 1977er Kremer-935 K2 turbo

Fahrgestellnummer: 007 00016

Aufbau: 1977 in Zusammenarbeit mit Design Plastic (dp, Ekkehard Zimmermann, Bensberg) entwickelter Karosseriesatz nach Gruppe-5-Reglement (Anhang J, 1976-81), 70 Kilogramm Gesamtgewicht, Einsatz von Schnellverschlüssen zur kompletten Demontage in weniger als fünf Minuten; Wasser-Ladeluftkühler hinten links im Kotflügel an Schnellverschlüssen, Gummiblasen-Sicherheitstank (120 Liter); pneumatische Hebeanlage; nach Unfall am 18. Juni 1978 in Mainz-Finthen (Deutsche Rennsportmeisterschaft, Fahrer: Louis Krages) Neuaufbau auf Reparaturkarosse unter Beibehaltung der Kremer-Fahrgestellnummer; 2006 durch Erwin Kremer vollzogene Authentizitätsprüfung

Motor: luftgekühlter Sechszylinder-Boxer mit einzelnem KKK-Turbolader, zwei Ventile pro Zylinder, Titan-Pleuel, mechanische Bosch-Doppelreihen-Saugrohr-Einspritzung, Bosch-Hochleistungs-Kondensator-Zündung (HKZ), Verlagerung des Ansprechverhaltens durch Eingriff ins Ladedruck-Abblase-System, Wasser-Ladeluftkühler

Hubraum: 2.857 ccm

Bohrung: 92,8 mm

Hub: 70,4 mm

Verdichtung: 6,5 : 1

Motorleistung: 640 PS bei 8.000/min. (1,35 bar Ladedruck)

Motorleistung: 670 PS bei 8.000/min. (1,5 bar Ladedruck)

Schaltdrehzahl: 8.200/min

Kraftübertragung: Viergang-Schaltgetriebe, abgeleitet vom 930 turbo, Einbaulage wie in der Serie; starrer Durchtrieb, Titan-Achswellen

Bremsanlage: modellspezifische, vom Typ 917 abgeleitete Aluminium-Festsättel

Fahrwerk: Bilstein-Gasdruck-Stoßdämpfer, Spur und Sturz einstellbar

Räder: dreiteilige BBS-Rennsport-Felgen mit großen Zentralverschlüssen und Lüfterflügeln (11J x 16 vorn und 14,75J x 19 hinten)

Reifen: Goodyear (10,0/23,5 x 16 vorn und 14,0/27,5 x 19 hinten)

Gewicht: 970 kg

Beschleunigung (0 – 100 km/h): 4,0 sec.

Entwicklungsbudget 935 K2 (1977): 250.000 D-Mark

Erfolge 1977:

Siege in der Deutschen Rennsportmeisterschaft (Eifelrennen Nürburgring, Flugplatzrennen Kassel-Calden, Großer Preis von Deutschland Hockenheim, Westfalenpokal Zolder/B, 2. Platz 1000-Kilometer-Rennen Nürburgring mit Bob Wollek/John Fitzpatrick