werk1.1 the essential | form, funktion – reine lehre
1972er 911 T 2.4 Coupé (Touring-Version in Ölklappen-Ausführung)

“Hier tanken Sie auf!”

Als Schuljunge half Thomas Fersch, Jahrgang 1964, an den Tankstellen seiner lieben Anverwandten aus. Großmutter Berta betrieb im heutigen Bad Hindelang eine Aral-Station, während die Großtante ihre Verbundenheit zur Kraftstoffmarke Shell kultivierte. Seitdem mag sich viel verändert haben. Doch manches blieb auch, wie es früher einmal war – Lokaltermin an einer originalgetreu erhaltenen Shell-Tankstelle aus den fünfziger Jahren mit einem 1972 produzierten F-Modell im Vordergrund. Sie ahnen es bereits: keine gewöhnliche Geschichte, allein schon aufgrund der Oberallgäuer Bergwelt im Hintergrund.

“Sie hat sich verliebt – zum Glück nur in eine Porsche-Farbe!” Aufatmen bei Thomas Fersch: Beim Anblick des 1972er F-Modells in “Signalgelb” bekommt Ehefrau Silke Herzklopfen

Irgendwie sind die Bergler ja alle miteinander vernetzt. Und wer zum “Fersch Thomas” nach Bad Hindelang im Oberallgäu will, der muss zuerst zum “Porsche Kurt” nach Nesselwang. Auch diese Sommerfrische liegt – genau wie “Hindolang”, wie die Einheimischen zu sagen pflegen – in einer der schönsten Urlaubsregionen Bayerns. Der Kurt also – Porsche heißt er, und einen Porsche fährt er. Sein grünes 356 Coupé mit dem silbernen Dekor ist auf vielen Alpenpässen zuhause. Beim Jochpass-Oldtimer-Memorial ist der Fahrlehrer im Ruhestand nicht nur ein gern gesehener Stammgast, sondern obendrein auch der Erfolgreichsten einer. Er hat sich auf die sehr spezielle Aufgabenstellung, eine Bergstraße mehr als ein halbes Dutzend mal in möglichst gleichmäßiger Geschwindigkeit zu befahren, eingeschossen. Einige Male schon hat er am Jochpass ganz oben mitgespielt. Das brachte ihm zwar keine großen Sponsoren, mithin keinen Geldsegen ein, wohl aber Sympathien. “Meine Töchter haben beim ‘Porsche-Kurt’ ihre Führerscheine gemacht”, erzählt Thomas Fersch. Er findet das erwähnenswert. Den Endvierziger, ein gelernter Kraftfahrzeug-Mechanikermeister und Ford-Vertragshändler von Berufes wegen, verbindet mit dem Mann aus der Allgäuer Nachbarschaft eine gemeinsame Zerstreuung in der Freizeit. Auch er besitzt einen historischen Sportwagen: ein 1972er 911 T 2.4 Coupé in Ölklappen-Ausführung. Als Pragmatiker würde es ihm freilich nicht einfallen, mit feierlicher Stimme eine allzu gern bemühte (und vielleicht auch schon missbrauchte) Vokabel anzustimmen: Passion Porsche. Nein, Phrasen würden diesem Mann überhaupt nicht liegen! Er hat das alte F-Modell vor neun Jahren, eine Woche nach einem gemeinsamen Besuch der Oldtimer-Messe “Retro Classics”, seiner Ehefrau Silke zuliebe in Biberach abgeholt. Schlicht und ergreifend. Die Dame des Hauses war damals dem Charme eines Farbtons aus den frühen Siebzigern erlegen: “Signalgelb 7272”. Nach wie vor ziert die Original-Werkslackierung die 130-PS-Version, für die zudem eine seriöse Geburtsurkunde der Porsche Deutschland GmbH vorliegt. “Isch doch logisch!”, lacht der “Ferschi” verschmitzt, “liabr a Foarrb, bevor’s an andra Mann isch!” Und so bleibt das schöne, sonnige Gelb bestehen – zu einer Restauration hat keinerlei Veranlassung bestanden, wohl aber zu einigen kleineren Schönheitsreparaturen. An der Unterseite eines der Hauptscheinwerfer blühten einst die üblichen Rostbläschen auf. Porsche-Fahrzeuge, die noch vor dem Modelljahr 1976 die Zuffenhausener Produktion durchliefen, kamen nicht in den Genuss jenes umfassenden Korrosionsschutzes, den die Feuerverzinkung bietet. Bei den F-Modellen war lediglich die Bodengruppe gegen Rost geschützt, was heute zu einer gewissen Brisanz führt – einerseits werden die Urelfer von allen geliebt, andererseits ist diese Liebe von Fall zu Fall geeignet, sich in einer Katastrophe aufzulösen.

Handlungsbedarf in homöopathischen Dosen: Das Schreckensbild, das die Eigner mancher F-Modelle zeichnen, bleibt Legende. “Glück gehabt!”, konstatieren Chronist und Protagonist

155.000 Zähleinheiten: Nicht nur der Tachometerstand entsprach den Erwartungen. Leider stellte sich ausgerechnet am Berg heraus, dass auch Superbenzin seine Halbwertzeit hat. Wie erwartet. Zu dieser Episode später mehr! Zunächst schaute Thomas Fersch, an dessen Betrieb eine eigene Lackierwerkstatt angeschlossen ist, genauer nach. “Ich bin von Natur aus pingelig”, bekennt er, “meine Mitarbeiter haben es nicht immer leicht mit mir”. Schließlich erachtete er das Frontblech sowie einen vorderen Kotflügel einer Überarbeitung würdig. Darüber hinaus galt es, im Wageninneren einen Riss im Armaturenbrett unkenntlich zu machen. Eine frisch belederte Oberschale schuf Abhilfe. Neue, klassische Sitze des italienischen Anbieters BF Torino fügten sich gut in das Gesamtbild ein. Zu einem späteren Zeitpunkt löste ein Problem mit der Synchronisation eine Überholung des Fünfgang-Schaltgetriebes des Urtyps 901 aus. Darüber hinaus hieß es: “Keine weiteren Vorkommnisse!” Im Verborgenen passierte derweil etwas anderes – ein chemischer Prozess, eine Zerfallserscheinung. Inmitten des Fototermins mit dem 1972er 911 T 2.4 Coupé trat sie zutage. Dabei hatte alles so harmlos angefangen. “Gell, do springet scho guat oh, oder?”, hatte Thomas Fersch zur Begrüßung gefragt. Der “Porsche Kurt” aus Nesselwang machte sich im Hintergrund für das Shooting stark. Obendrein hatte die “Marlene vom Jochpass”, im bürgerlichen Leben die Organisationschefin des Jochpass-Oldtimer-Memorials, in die gleiche Kerbe geschlagen. Unisono waren sie zu der Einschätzung gelangt, “dass der Kerle von dem neuä Heftle scho recht isch”. Und dann das! Kaum, dass der ziemlich genau 41 Jahre alte Porsche angesprungen und angerollt war, ruckelte und zuckelte es mit zunehmender Betriebstemperatur. Dabei war dem Einheimischen daran gelegen, einen stillen, vom Trubel abgeschirmten Fotoplatz zu wählen. Über eine urige Mautstraße, an deren Einfahrt ein herrlich naiver Bezahlkasten aufgestellt ist – das Entrichten einer Gebühr ist dem Ehrgefühl jedes Einzelnen überlassen, die Schranke öffnet sich auch so – sollte es hinauf zur Straußbergalpe gehen. Inmitten eines der schönsten Wanderreviere des Allgäus erwarteten tiefgrüne Matten, braunfellige Kühe, Fladen, Mountainbiker und Tiefblicke hinunter nach Sonthofen das Auge des Lichtbildners. Soweit die Theorie. In der Praxis führte schon der erste Aufschwung nach Erreichen des Ortsschildes von Imberg zu einem Bratzeln des Sechszylinder-Boxermotors. Er ging zwar nicht aus, doch er hörte sich nach einer akuten Unterversorgung mit den benötigten Vitalstoffen an. Vorsichtshalber stellte Thomas Fersch den Treibsatz ab, zog die Kappe des Zündverteilers – gottlob noch ein Einfachzünder – blies sie aus, steckte sie wieder auf, startete erneut, um bei angelehnter Motorhaube – nur für alle Fälle – anzufahren. Das klappte jedesmal, um spätestens vor der nächsten Kurve abermals in ein metallisch schepperndes Abmagern überzugehen.

“Klingelsuppe” par excellence: oben eine wässrige Lösung, weiter unten all die chemischen Bestandteile, die wahren Kraft-Stoff ausmachen – alles unter diesem Himmel hat seine Zeit

Laith Al-Deen hinterlässt seine Spuren. Immer. Der 41-jährige Musiker aus Karlsruhe ist einer der Stars der deutschsprachigen Musik. Zu seinem Repertoire gehören Titel wie “Bilder von Dir” oder “Alles unter diesem Himmel hat seine Zeit”. Wie wahr, zumal sich Al-Deens Stimme am Morgen noch über das Radio ausbreitet. Da gibt es ein wichtiges Detail: Beide – sowohl der Porsche als auch der Künstler – sind Baujahr 1972. Ein Hinweis auf die Ursache der von Zeit zu Zeit zunehmenden Ruckelei? Thomas Fersch macht aus der Not eine Tugend. Wann immer er den Zündschlüssel jetzt zurück nach rechts dreht, um den Motor abzustellen, lässt er das 911 T 2.4 Coupé in Foto-Position rollen. Auf diese Weise entstehen mehr oder weniger zufällig Bilder, die Auto und Allgäu als einen natürlichen Spannungsbogen beschreiben. Manches Milchrind am Wegesrand erhebt nicht einmal das gehörnte Haupt. Und so geht es trotz aller Unterbrechungen schließlich zum höchsten Punkt, der Straußbergalpe. Nachdem die Aufnahmen im (digitalen) Kasten sind, wirkt der Steuer-Mann am Volant des Porsche erleichtert. Er kommt ins Erzählen, berichtet aus seiner Jugend. Als Zehnjähriger habe er weiter unten, “im Ort”, bei der Aral-Tankstelle seiner Oma ausgeholfen. Selbstbedienung sei noch in weiter Ferne gewesen, und so habe er früh den Status eines Wahrzeichens erreicht: Der Junge aus den Bergen in den Lederhosen, der Windschutzscheiben putzt – meist an den Fahrzeugen der Urlaubsgäste. Die Zeiten änderten sich. “Hindolang” mauserte sich zu Bad Hindelang, einem schmucken, vielfach preisgekrönten Kurort. Für die Straße, an der Ferschs Großmutter ihre Tankstelle betrieben hatte, galt dasselbe. Die Aral-Station verschwand, und auch der Opel-Händler in der Nachbarschaft gab aus Altersgründen sein Geschäft auf. Was war zu tun? Das erfahren Sie im abschließenden Kapitel dieser Geschichte! Nachsatz: Einige Wochen nach dem Fotoausflug hinauf zur Straußbergalpe rief Thomas Fersch noch einmal an. Er meldete, die Ursache für die unfreiwilligen Unterbrechungen gefunden zu haben. Aufgrund der langen Standzeit habe sich die Tankfüllung in ihre Bestandteile zersetzt. Die chemischen Bausteine setzten sich nach unten ab, während oben eine wässrige Lösung zurückblieb, die den Motor zwangsläufig abmagern ließ. Sie enthielt zu wenig, um Kraft und Vortrieb zu bieten. Mögliches Motto, ganz im Sinne Laith Al-Deens: Alles unter diesem Himmel hat seine Zeit, hat seine Stunde.

Epilog. Mal kurz Auftanken im Privatmuseum – in der einstigen Shell-Tankstelle der Großtante ein Herzenswunsch, der mit Oktanzahlen oder Treibstoffsorten nicht das Geringste zu tun hat

Zurück von der Straußbergalm, steuerte Thomas Fersch zielsicher die Rückseite seines Ford-Autohauses an. Vor einer historischen Shell-Reklametafel blieb er stehen, platzierte das 911 T 2.4 Coupé vor einer Schaufensterscheibe. “Hier finden Sie das schönste Fotomotiv”, lächelte er und schloss die Tür zu seinem Refugium auf: eine vollständig erhaltene Tankstelle aus den fünfziger-Jahren! “Meine Großtante hat zum Glück kaum etwas weggeworfen, darum ist zum Beispiel die vollständige Inneneinrichtung noch vorhanden”, lautete die Erklärung. Hölzerne, deckenhohe Schubladen-Schränke kündeten von jahrzehntelangem Dienst am Kunden. “Das hier ist mein geheimer Lieblingsplatz!”, offenbarte der Süddeutsche, den es oft genug auf dem Mountainbike bergwärts zieht. “Hier tanke ich auf, und wenn auch es nur für fünf Minuten ist.” Seine Sammelleidenschaft ließ auf der gegenüberliegenden Seite, in der einstigen Opel-Ausstellung, ein privates Zeitgeist-Museum entstehen. Vom “Creme 21”-Originalgebinde bis hin zum historischen Automobil fand dort alles eine Heimstatt, was den Lebensweg der Ferschs einmal säumte. Und das gilt sogar für den “signal”-gelben Elfer, der nach dem Posieren in das etwas entrückte Zeitgeist-Haus zurückkehrte – bis zum nächsten Mal, und freundliche Grüße an den ‘Porsche Kurt’!

werk1 words: Carsten Krome
werk1 pics: Carsten Krome