Wer Sportwagen liebt, muss seiner Leidenschaft nicht unbedingt auf einer Rennstrecke frönen. In den Bergen ist die Beziehung zwischen Mensch und oftmals sechszylindriger Maschine besonders intensiv. Fernab der oft stark frequentierten Routen, vorbei an den steinernen Monumenten Südtirols oder Oberösterreichs, lohnen die weniger häufig befahrenen Rundtouren umso mehr. So führt ein Mehrteiler vom Drehkreuz Sonthofen über den Gaichtpass nach Tirol, und von dort weiter an die weitaus weniger bekannten Rückseiten der Allgäuer Bergriesen. Grundsätzlich machbar ist dieser automobile Hochgenuss an einem Tag. Doch in Wirklichkeit ist es nicht zwingend notwendig, über etwas mehr als 200 Kilometer ein Bergrennen gegen sich selbst zu fahren. Deshalb zerlegen wir die Reise in einzelne Abschnitte, und laden Sie dazu ein, sich Ihr persönliches Tourenbuch anzulegen: Los geht’s – auf Haupt- und Nebenstrecken des Oberallgäus!
Schlichte 7,5 Kilometer auf direktem Weg, 24,9 Kilometer mit Abstechern, Ziele für einen oder gleich mehrere Erlebnistage – von Sonthofen nach Bad Hindelang.
Sonthofen. Stadt im Allgäu, etwas schmucklos stellenweise, und doch geziert von einem großartigen Alpenpanorama. Der himmelsstürmende Bergkranz weiter hinten, im Süden, markiert den Talschluss, wie die Älpler sagen, hinter Oberstdorf. Berühmt geworden ist das Drehkreuz dieser Urlaubsregion – nach Westen geht es weiter in Richtung Bodensee, nach Osten über mehrere Passstraßen nach Tirol – durch eine politische Indiskretion. Es war Franz Josef Strauß, der im November 1974 in ihrem Mittelpunkt stand. Ein Mitschnitt seiner wahlstrategischen Rede anlässlich einer Klausurtagung der CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag fand den Weg in die Redaktion des SPIEGEL, und der schrieb im März 1975 Geschichte mit den für geheim gehaltenen Aufzeichnungen. Sonthofen war fortan Schauplatz der großen, eigentlich nur dem Bonner Regierungssitz vorbehaltenen Bundespolitik – und letztlich doch nur Standort der 1934 in exponierter Hanglage errichteten Generaloberst-Beck-Kaserne. Ein geschichtlich interessanter Platz demnach, und aufgrund seiner zentralen Verortung – 181 Kilometer ab dem Stuttgarter Kreuz über die Autobahnen A8 und A7, weniger als zwei Stunden Fahrzeit – Startort zur kleinen Allgäu-Runde.
Diese führt uns zunächst in Richtung Westen über die Bundesstraße 308 nach Bad Hindelang. Nach drei Kilometern führt rechter Hand ein oftmals übersehener, gelber Wegweiser nach Imberg – unser erster Abstecher, ein Sidestep, am Wegesrand. Über 1,5 Kilometer führt ein oftmals im Schatten gelegenes, durchgängig befestigtes Sträßchen hinauf in das kleine Bergdorf, in dessen Mitte sich ein urwüchsiger Berggasthof nach der Sonne gedreht zu haben scheint. Er heißt übrigens auch genauso, und die Zeit ist hier oben, auf knapp 900 Metern Meereshöhe, wahrhaft stehengeblieben. Spätestens vor der Schranke, die eine kleine Mautstraße zur Straußbergalpe in 1.227 Metern Meereshöhe eröffnet. Exakt 6,2 Kilometer ist der verwinkelte Pfad lang, dabei überwindet er 457 Höhenmeter – bergauf eine Prüfung für den Antriebsstrang, bergab für die Bremsen und alle radführenden Teile. Deshalb Vorsicht! Die stellenweise mit 15 Prozent Steigung gesegnete Bergstraße ist beliebt bei Wanderern und (durchaus selbstbewussten) Bikern – unbedingt ausreichend Raum für die anderen Verkehrsteilnehmer lassen!
Oben auf der Straußbergalpe wird seit 2001 ökologisch korrekt verköstigt. Wem dieser Einklang mit der Natur noch nicht genug ist, der lässt seinen Porsche auf dem großzügigen Parkareal hinter den Hütte stehen, schnürt die Wanderschuhe, steigt zum Straußbergsattel empor und erklimmt über den Straußberg in unschwieriger Kraxelei über schrofiges Gestein das Imberger Horn (1.656 Meter), den Hausberg Bad Hindelangs. Aufgrund der Ausgangshöhe hoch oben an der Straußbergalpe sind die verbleibenden Höhenmeter in anderthalb, vielleicht auch zwei Stunden zu bewältigen. Aussicht und Gipfelglück sind phänomenal, abgesehen von den scharenweise auftretenden Fruchtfliegen. Keine fünf Meter unterhalb des Gipfelkreuzes sind sie allerdings schon wieder vergessen, und allein die Sicht auf Bad Hindelang gibt den weiteren Verlauf der Reise vor – wer kann, sollte nach geschafftem Abstieg und der Talfahrt zurück zur Bundesstraße 308 wenigstens einen Nachmittag oder eine Nacht bleiben.
Keine Angst, das schaffen Sie schon! 360 Meter Höhenunterschied, 105 bis 107 Kurven, 7,9 Kilometer Streckenlänge: Der Jochpass bleibt ein Erlebnis.
Die Jochstraße, dieser uralte Handelsweg der Frächter, die das Salz “über das Joch” auf die andere, die Tiroler Seite brachten, ist für den öffentlichen Straßenverkehr geöffnet. Außer an zweieinhalb Veranstaltungstagen im Oktober, die der seit 1999 stattfindenden Gleichmäßigkeitsfahrt für Oldtimer vorbehalten sind. Dann wird die steile Rampe hinauf nach Oberjoch für die Allgemeinheit gesperrt. In dieser Feststellung liegen Fluch und Segen zugleich. Denn das Miteinander von Reisebussen, Motorrädern, Autos und Rennrädern erfordert ein Höchstmaß an Konzentration. Hinzu kommt die Strecke, die oftmals durch eingesprengte Passagen führt und obendrein imposante Landschaftsbilder – zum Beispiel auf etwas über 1.000 Metern Meereshöhe an der Kanzel – bietet. Wer sich spontan zum Anhalten durchringen kann, seinen Sportwagen abstellt, das Knistern allmählich abkühlenden Metalls wahrnimmt, die Straße überquert und schließlich die zur Promenade ausgebaute Aussichtsplattform betritt, dem offenbart sich eine Naturbühne. Von unten windet sich die Passstraße durch karge Wälder, das Auf- und Abschwellen der Motoren lässt eine Ahnung von der Nürburgring-Nordschleife heranwehen, und immer wieder lassen sich belederte Uytypen zu Bier und Zigarette nieder – ein überraschender Ort, der eher zur Eifel und weniger zur königlich-bayerischen Postkartenidylle passen würde! Wäre da nur nicht der Blick hinüber in das wildromantische, mit dem Auto (für Touristen zumindest) nicht erreichbare, gleich hoch gelegene Retterschwangtal – ein Eldorado für Bergromantiker. Nein, so lautet die Erkenntnis beim Rundblick von der Jochkanzel: Nein – Zweitausender vom Rang und Namen einer Rotspitze oder eines Breitenberges hat die Umgebung des Nürburgrings nicht zu bieten, leider.
Spätestens in diesem Moment juckt es den meisten Sportwagen-Liebhabern in den Fingern und den Fußspitzen: noch einmal in gemäßigtem Tempo – seit 2019 sind nur noch 60 km/h erlaubt – zu Tal rollen, es noch einmal angehen, vielleicht in der Anfahrt vor dem Eintauchen in das Kurvenstakkato nach dem Luitpoldbad noch etwas mehr Sicherheits-Abstand zu den Vorderleuten lassen? Nach zwei, drei Biegungen schmilzt dieser Abstand jedesmal auf ein Mindestmaß zusammen. Es gilt die Devise, es ruhig und locker anzugehen – und folgende goldene Regeln zu beherzigen: möglichst wenig schalten, möglichst wenig am Lenkrad umgreifen, sondern im traditionellen Kreuzgriff (die Lenkradspeichen ruhen in der Daumenbeuge) einlenken! Dann geht es ruhig dahin, denn der wirksamste Unruheherd im Sportwagen ist stets der Fahrer. Oder die Fahrerin. Ein Notausgang (ganz nebenbei ein bewährtes Fotomotiv) findet sich auf halber Strecke in der scharf nach links abknickenden Anfahrt zum Hirschberg und zur Hirschalpe. Hier fanden schon 2003 Fotoshootings mit anschließender Exkursion statt. Am oberen Ende der Jochstraße grüßt – wie der Name unschwer vermuten lässt – Oberjoch (1.136 Meter). Das laut eigener Darstellung “höchste Bergdorf Deutschlands” ist trotz seiner eindeutig wintersportlichen Ausrichtung auch in den schneefreien Monaten interessant. Zahlreiche, oft auf Familien mit Kindern ausgerichtete Hotelbauten sind in jüngster Vergangenheit neu entstanden. Zwischenstand: Von Sonthofen bis Oberjoch sind ohne die Extratour gerade erst 14,9 Kilometer zurückgelegt. Ein Geheimtipp für Ruhesuchende: Wer weitere 2,9 Kilometer investieren möchte, rollt über die Bundesstraße 310 nach Obergschwend (1.040 Meter) oder nach Unterjoch (1.013 Meter) – Rückzugsorte für jene, die sportliche Aktivität mit moderner Urtümlichkeit verbinden möchten.
Die Szenerie öffnet sich, die Betriebstemperaturen fallen: über Wertach nach Bühl am Alpsee und wieder zurück zum Tankstopp nach Sonthofen.
Wir sind bei Kilometer 17,8 – und bis zum nächsten Etappenziel werden es auch nicht mehr als 27,7 sein. Der Teilabschnitt von Obergschwend über die Bundesstraße 310 nach Wertach ist unspektakulär – und bestens geeignet, um nach dem Jochpass wieder durchzuatmen. Entspannt erreichen wir Wertach, einen weiteren Verkehrsknotenpunkt des Oberallgäus. Nach links, demnach gen Westen, kann die landschaftlich schöne Fahrt zurück nach Sonthofen fortgesetzt werden. Wer sich etwas weiter in Richtung Osten orientiert und 15,1 Kilometer zusätzlich zurücklegen möchte, gelangt über Teilabschnitte der B309 nach Nesselwang und Pfronten. Die sich nun anschließende Talfahrt nach Burgberg über eine gut ausgebaute Landstraße mit der nüchternen Bezeichnung “St2007” (15,8 Kilometer ab Wertach) führt über Rettenberg. Etwas außerhalb ist die private Brauerei Zötler beheimatet, die im Jahr 1447 entstand und in der 20. Generation am Markt präsent ist. Das Brauhaus liegt zu Fuße des Grünten (1.738 Meter), dem Hausberg Sonthofens mit seinem steinernen Obelisken hoch oben auf der Bergspitze. Nach der Verköstigung mit den frischen Spezialitäten des Hauses – das Brauwasser spenden die Gebirgsbäche rundum – lockt ein Ausflug in das mediterrane Bühl am Alpsee. 10,1 Kilometer, zunächst über die “St2006”, im weiteren Verlauf an Immenstadt vorbei über die zu Beginn bereits befahrene Bundesstraße 308, führen zu einem überaus lohnenden Ziel: sonnengegerbte Bootshäuser, Promenaden, Boutiquen – die andere Seite des Allgäus.
Ein Tipp für den 11,6 Kilometer langen Rückweg über die B308 und die B9 nach Sonthofen: Unterwegs säumen verschiedene Factory-Outlets der Sportindustrie den Weg. Insgesamt 65 Kilometer (ohne die beschriebenen Extratouren) mögen auf den ersten Blick unspektakulär erscheinen. Doch die Dichte an Sehenswürdigkeiten ist es allemal wert, mit dem Zeitkontingent großzügig umzugehen. Es ist eine Route, die es nicht verdient, in kurzer Zeit abgespult zu werden. In Sonthofen stellt sich überdies die Frage, wie es nun eigentlich weitergeht: Nach Süden zu den hochalpinen Berühmtheiten (Trettachspitze, Mädelegabel und Hochfrottspitze, Heilbronner Weg) des Birgsauer Tals, ins Kleinwalsertal zu Füßen des Großen Widdersteins oder weiter auf der Route des #AlpineCruisings? Eigentlich ist das gar keine Frage.
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