Seit annähernd zehn Jahren pflegt die P9 Challenge des Pullacher Rennsport-Veranstalters Bernhard Fischer die gute Tradition der einstigen Clubsport-Formate in den Alpenländern. Die Serie vereint klassische Elemente mit dem Pulsschlag der heutigen GT-Ligen. Auch wenn der Porsche-Schwerpunkt offensichtlich ist, mischen an manchen Tagen sogar andere Fabrikate munter mit – so zum Beispiel vier einheimische BMW beim Gastspiel auf dem Norisring. Der Stadtkurs im Herzen Nürnbergs war erstmals der Schauplatz zweier 30-Minuten-Sprintrennen der P9 Challenge mit bunt gemischter Beteiligung im Rahmen des diesjährigen DTM-Finales. Selbst ein 33 Jahre zuvor in den Dienst gestellter Porsche 935 dp II gab sich die Ehre: Rundgang durch ein Fahrerlager, in dem (fast) zu jeder Tages- und Nachtzeit etwas los ist.

Es ist wieder Rennen in der Stadt in Mittelfranken, nachdem die Pandemie eine Absage und ein Jahr später eine Terminverlegung ausgelöst hat.

Es ist Freitag, der 8. Oktober 2021. Die Straße, die vom Max-Morlock-Stadion vorbei an der Arena Nürnberger Versicherung in Richtung Dutzendteich führt, ist heute nur mit einem Sonderausweis erreichbar. Es sind wieder Rennen in der größten Stadt Mittelfrankens, nachdem die Pandemie 2020 zunächst eine generelle Absage und ein Jahr später eine Terminverlegung ausgelöst hat. Doch nun, zum Abschluss einer hochkomprimierten Motorsport-Saison, spielt die DTM zu ihrer Finalpartie auf. Da wird noch einmal alles mobilisiert, da ist noch einmal alles geboten. Auch im Rahmenprogramm geht es vielfältig zu, und mit der P9 Challenge stellt sich kurz vor Toresschluss ein neues Rennsport-Format vor. Wobei – so neu ist die 16 Starter umfassende Truppe von Bernhard Fischer gar nicht. Eine Woche zuvor hat sie im norditalienischen Monza ihre Meister des Jahres in den Sprint- und Langstrecken-Wettbewerben gekürt. Doch die Aussicht, wenigstens einmal im Leben auf dem Norisring fahren zu können, entlang der monumentalen Steintribüne, mobilisiert noch einmal viele. Und so versammeln Hermann Speck und „Jack Crow”, die beiden frisch gekürten Champions in ihren jeweiligen Disziplinen, die Sportkameraden ein letztes Mal vor einer (vermutlich) langen Winterpause um sich.

So neu ist die 16 Starter umfassende Truppe gar nicht. Eine Woche zuvor hat sie im norditalienischen Monza ihre Meister des Jahres gekürt.

Aufstellung haben sie in einer Seitenstraße bezogen, die beim Norisring-Rennen inzwischen Tradition hat. Hier haben schon einmal der Audi Sport TT Cup und die Tourenwagen-Klassiker ihre bunten Zelte aufgeschlagen. Gleich zu Beginn der langen Sackgasse hat der Nürnberger Hans Hatto alias Hannes Karl gleich vier BMW in der (Gentlemen-)Klasse 8 genannt – handelt es sich bei der P9 Challenge eigentlich nicht um eine ausschließlich Porsche-Fahrzeugen vorbehaltene Angelegenheit? Nicht ganz, wie ein Blick in die Ausschreibung und die Historie zeigt. Die Vielfalt der Möglichkeiten ist groß, neben Tourenwagen sind in Klasse 7 sogar Rennsport-Prototypen startberechtigt – für all jene, die das Flair der großen Langstrecken-Wettbewerbe mögen. Die vier bodenständigeren BMW von AVP Motorsport werden angeführt vom 23-jährigen Nick Hancke, der an diesem Wochenende auf zwei Hochzeiten tanzt. In der P9 Challenge hat er mit seinem Vater Sascha Hancke in einem weiteren BMW zu tun, im BMW M2 Cup hingegen mit gleichaltrigen Nachwuchspiloten. Er selbst ist bei seinem Teamchef Auszubildender im Kraftfahrzeug-Handwerk und bereits zweimaliger Titelgewinner in der DMV BMW Challenge: ein vielseitig begabtes Talent. Dass er an diesem Wochenende im Feld der Porsche keine dicken Stricke zerreißen kann, ist ihm bewusst. Es hält ihn trotzdem nicht davon ab, sich ordentlich ins Zeug zu legen. Dazu hat er seinen zweimaligen Meisterschaftswagen mitgebracht, einen 325 iS E36 mit exponiertem Heckflügel.

Drei 911 GT3 R spielen in einer eigenen Performance- Liga. Ihre Rundenzeiten liegen nur drei Sekunden über dem, was in der DTM heute Usus ist.

Im Nachbarzelt gegenüber zieht ein gelber Porsche 935 dp II die Blicke auf sich: ein Zeitzeuge der Spezial Tourenwagen Trophy mit 650 PS. Jörg Lorenz – auch der 66-Jährige aus Erlangen hat ein Heimspiel – ist der Steuer-Mann am Kommandostand des Flachschnauzers. Anlässlich des DTM-Finales im Oktober 1988 auf dem Hockenheimring feierte der Gruppe-H-Rennwagen einst seine Feuertaufe. Der 2009 verstorbene Porsche-Rennfahrer Jürgen Schorn gab den Neuaufbau vor 33 Jahren bei Ekkehard Zimmermann in Auftrag. Jörg Lorenz, der im Hauptberuf automobile Seltenheiten restauriert und schon einmal das Opel-Werksteam mit handgearbeiteten Kotflügeln belieferte, lässt die Erinnerung an den Erstbesitzer weiterleben: „Es ist eine fast historische Chance, hier auf dem Norisring in der Klasse 1 für Fahrzeuge bis Baujahr 1989 mitfahren zu können”, philosophiert er. Doch Lorenz ahnt, dass die unnachgiebigen Schläge des Norisrings dem Doppelturbo-Dinosaurier arg zusetzen können. Wie recht er doch behalten wird, denn im ersten Rennlauf über 30 Minuten ist die Dienstfahrt mit einer Ölfahne am Heck vorzeitig beendet. Da spielen die drei Porsche 911 GT3 R der Generation 991.1 an der Spitze des Feldes in einer ganz anderen Performance-Liga. Ihre Rundenzeiten liegen trotz BOP nicht mehr als drei Sekunden über dem, was in der heutigen DTM Usus ist. Das weltweite GT3-Reglement ist der gemeinsame Nenner, alle drei Porsche 911 GT3 R sind in ihren ersten Lebensabschnitten von 2016 an bei professionellen Rennställen in Nutzung gewesen.

Drei Freunde und ein Rennfahrer: Die Alpenländer Truppe des Unternehmers Alois Rieder aus dem Zillertal handhabt ihren 911 GT3 R selbst.

Lokalmatador Hermann Speck beispielsweise steuert einen von Manthey-Racing beim 24-Stunden-Rennen Nürburgring vor mehr als fünf Jahren eingesetzten Semi-Werkswagen, der später ein aerodynamisches Update erhielt und nun von Daniel Badum betreut wird. Der noch junge Techniker betreut vor Ort drei weitere Aktive – Gerald Fischer, dessen Sohn André Fischer und Florian Keck. Ihre Porsche 911 GT3 Cup sind ein Querschnitt durch die Baureihen des Breitensport-Neunelfers. Dem trägt das technische Reglement Rechnung, das insgesamt acht Kategorien und eine ganze Reihe Bauart-spezifischer Wertungsklassen bereithält. So soll wirklich jedem die Chance auf einen fairen Wettbewerb gegeben werden. Denn zwischen den einzelnen Modellgenerationen, gerade bei den Cup-Ausführungen ist das so, liegen gern schon einmal 25 PS Leistungsdifferenz – und die sind nicht immer leicht zu egalisieren. Auffällig ist, dass das etwas ausgeleierte Dogma, dass nur das Allerneueste eine Daseinsberechtigung hat, nicht gilt. Dieser Ansatz ist schwer sympathisch, das gefällt. Manuel Süßenguth zum Beispiel kommt im ersten Lauf mit einem Porsche 911 GT3 Cup der Generation 991.1 mit 460 PS auf einen unerwarteten vierten Gesamtrang. Nebenbei setzt sich der Münchner in der Klasse 4 durch, während die PS-stärkeren Nachfolgemodelle in der Klasse 5a untergebracht sind. Deren bester Vertreter landet aber nur auf dem achten Gesamtrang – und alle finden’s völlig in Ordnung so. Das überall fühlbare Credo: Motorsport, der bei allem technischen und fahrerischen Anspruch noch immer so ist, wie er sein soll: authentisch und echt.

Auffällig ist, dass das etwas ausgeleierte Dogma, dass immer nur das Allerneueste eine Daseinsberechtigung hat, hier nicht gilt.

Die Alpenländer Truppe des Unternehmers Alois Rieder aus Ried im Zillertal lebt dieses Motto und handhabt ihren Porsche 911 GT3 R selbst: Drei Freunde und der Rennfahrer kümmern sich um das Innenleben der ebenfalls vor fünfeinhalb Jahren ausgelieferten GT3-Vollversion aus dem Porsche-Kundensport. „Alpquell” steht auf den Kohlefaser-Karosserieteilen des 52-jährigen Rennfahrers geschrieben, der in Österreich ein gleichnamiges Mineralwasser für Abnehmer im deutschsprachigen Europa abfüllt und sich ganz unprätentiös gibt. Da kann es auch schon einmal zur spontanen Luftgitarren-Einlage im Fahrerlager kommen: Man hilft einander, man feiert zusammen, man grillt zusammen – trotz Wettkampf hat man eben auch Spaß zusammen. Seinen Beitrag zur doch ehrgeizigen Spaß-Gesellschaft leistet „Jack Crow”, der den dritten Porsche im Bunde der 911 GT3 R steuert, in Form eines humorigen Ausflugs in die Tierwelt: Das Zebra ist sein Wappentier. Wann immer der Wahl-Schweizer mit dem Künstlernamen gewinnt – am Norisring gelingt ihm das im ersten Renndurchgang – zelebriert er seinen Erfolg mit einem aufblasbaren Streifenpony, das ihn und seinen Teamchef Jürgen Stoll schon seit den ersten Jahren begleitet. Kunststück: Die Mannschaft aus Bitz im Zollernalbkreis nennt sich Zebra Racing und hat sich schon zu Zeiten des Porsche Alpenpokals einen Namen gemacht. „Jack Crow” liefert sich auf dem Norisring einen harten Zweikampf mit Hermann Speck. Immer wieder wechseln zwischen den beiden Spitzenreitern die Positionen, und wer an ein Showduell glaubt, der irrt.

Auch wenn der Porsche-Schwerpunkt geblieben ist, mischen auch andere Fabrikate mit – so zum Beispiel beim Gastspiel auf dem Norisring.

Spätestens im Ziel sind sich beide Kontrahenten dann wieder einig, sie klatschen einander ab und freuen sich mit ihren Teams über die geglückte Premiere „ihrer“ P9 Challenge im Rahmenprogramm der großen DTM. Zwischen ihnen ist es in Nürnberg eine ausgeglichene Partie: Am Samstag triumphiert „Crow”, am Sonntag setzt Speck als letzter Sieger des Renntages den Schlusspunkt. Alois Rieder wird zweimal Dritter mit einem Neunelfer, dessen Startnummer 569 immer wieder zu Spekulationen Anlass gibt. „Ich bin im vierten Monat des Jahres 1969 geboren”, lacht er, „dieses Zahlenspiel ist in die Startnummer eingeflossen – eigentlich ganz lässig, oder?” Dass auch ein aktueller Porsche 911 GT3 Cup der Generation 992 im Vorderfeld mitfährt, ist ebenfalls eine Erwähnung wert. Christof Langer vermisst zwar ein Antiblockier-System, kommt aber trotzdem im zweiten Durchgang auf einen soliden vierten Gesamtrang. Eigentlich tritt der Hüne im Porsche Carrera Cup Deutschland an, doch ausgerechnet bei der DTM lässt Deutschlands schnellster Markenpokal den Kollegen aus den Benelux-Ländern den Vortritt – nicht nur für Christof Langer ein guter Grund, sich weitere Auftritte der P9 Challenge auf dem Norisring und vielleicht an weiteren Schauplätzen der DTM zu wünschen. Für ein Glanzlicht sorgt gleichsam Michael Brode mit einem 485 PS leistenden Porsche 911 GT3 Cup der Generation 991.2. Dieser konnte aufgrund eines Schadens am Vortag nicht am Qualifying fürs Rennen teilnehmen. Vom letzten Startplatz kommend, kämpft er sich trotzdem als Sieger der Klasse 5a im zweiten Durchgang bis auf den siebten Gesamtrang nach vorn.

Michael Brodes furiose Fahrt sorgt für Begeisterung: Vom letzten Startplatz kommend, kämpft er sich bis auf den siebten Gesamtrang nach vorn.

Nicht nur Brodes furiose Fahrt sorgt für Begeisterung. Das allgemeine Fazit fällt positiv aus: Das gab’s – hoffentlich – nicht nur einmal, das kommt mit ein bisschen Glück und Rückenwind auch 2022 wieder! Hannes Karl, dessen vier BMW in ihrer eigenen Formation unterwegs sind, wünscht sich das ebenfalls. Er hat schon konkrete Pläne. Zuhause in der Nürnberger Werkstatt steht eine aufbaufähige Rohkarosse. „Ich habe bereits herausgefunden”, orakelt der alte Langstreckenfuchs von der Nürburgring-Nordschleife, „wer seinerzeit die Umbauteile für den Klasse-1-BMW E36 produziert hat – damit ließe sich bestimmt etwas anfangen!” Und ein Porsche, wie wär’s denn damit? „Wer weiß – Zuffenhausener haben wir tagtäglich in unserem Betrieb stehen“, orakelt er und lächelt zufrieden. Für ihn war es ein Wochenende, an das er sich noch lange erinnern wird. Für seine vier Volanteure gilt vermutlich dasselbe.

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH

Fotografie: Farid Wagner, pitwall media

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Fotografie: Farid Wagner, pitwall media, für die netzwerkeins GmbH