Es war einer dieser Tage, die für immer im Gedächtnis haften bleiben. Für Heinz-Jörgen Dahmen, den Krefelder Privatfahrer in Supercup und Interserie, war es ein ganz gewöhnlicher Tag. In seinem Betrieb an der Rossstraße inmitten der Krefelder Innenstadt bereitete er in einem abgeteilten Werkstattbereich seinen Porsche 962 C vor. Es war ein schneeweißes Auto mit vielen bunten Aufklebern an der Rückwand des Cockpits. Jeder dieser Aufkleber stand für einen Einsatz irgendwo in Europa. Da es ein Donnerstag war, stand wieder einmal die Abreise zu einem Gruppe-C-Rennen an. Diesmal war Zeltweg das Ziel. In der 1.000 Kilometer weiter südöstlich gelegenen Steiermark rief das Saisonfinale der Interserie 1989.
Zu jener Zeit war es unter jungen Journalisten Usus, sich den Rennteams als Aushilfen anzudienen. Durch mehr oder weniger sinnstiftende Tätigkeiten erwarb man sich die Chance auf Mitfahrgelegenheiten an den Norisring nach Nürnberg oder eben Zeltweg, dem späteren Spielberg. Da das Verladen des Porsche auf sich warten ließ, kam Heinz-Jörgen Dahmen eine Idee. “Hörens, Jung”, deutete er mir in Krefelder Plattdeutsch, “hock Disch effkens mol rin!” Seinen Worten entnahm ich die unerwartete Möglichkeit eines Probesitzens. Etwas zögerlich tappste ich mit dem linken Fuß in die Sitzschale, dann zog ich den rechten nach und ließ mich mit dem Elan eines störrischen Kleinkindes auf der Rutsche in die Tiefen des Porsche gleiten. “Body” Dahmen stand draußen, eine Milchflasche in der Hand und lachte mich an: “So Jung, jetz mach isch de Dör zu!”
Das hätte er lassen sollen. Die rechte Plastiktür senkte sich ins Schloss. Vor mir lag das Halbrund der Glaskanzel. Ein spiegelverkehrter Aufkleber mit der Aufschrift “Jumbo Racing” verkleinerte das ohnehin eingeschränkte Sichtfeld. Draußen in der lichten Werkhalle brach die Sonne eines warmen Herbsttages durch die Dachfenster. Und obwohl kein Motor lief, nicht einmal eine der vier Benzinpumpen surrte, war mein einziger Gedanke: “Raus hier!” Es war so eng, es roch so penetrant nach Benzin, dass ich unweigerlich an die ganzen Tragödien der Gruppe-C-Ära denken musste. Winkelhock, Bellof und Gartner waren in diesen Autos gestorben. Kris Nissen überlebte einen Feuerunfall vom Schweregrad der Lauda-Katastrophe 1976 in der Formel 1. Fachleute vertraten sogar die Auffassung, Nissen sei schwerer verletzt gewesen. Und da gab es tatsächlich jemanden, der sich ohne Millionensponsor im Rücken, auf eigene Rechnung, immer wieder dieser Gefahr aussetzte! Unvorstellbar fand ich das und fuhr mit ihm bis ans gefühlte Ende der Welt, irgendwohin mit dem LKW.
Wir wurden Freunde, wir schrieben uns Karten zu Weihnachten, wir halten das bis heute so. Wie muss es denen ergangen sein, die inzwischen seit 25 Jahren an bestimmten Tagen Kerzen anzünden? Genügt die Feststellung, dass es eine wilde Zeit war? Am Beispiel des Stefan Bellof wird deutlich, dass viel mehr dahinter steckte. Was trieb einen jungen Menschen an, in einer dieser fürchterlich engen Glaskanzeln alles, wirklich alles zu riskieren? War es das Verlangen nach Ruhm, Gage, sportlichem Erfolg oder alles auf einmal? Wir haben nach Antworten gesucht. Ihre persönliche Meinung mögen Sie sich selbst bilden. Eins steht jedoch fest: Die Zeit, die einen Porsche 956 und ab 1984 einen 962 hervorbrachte, brachte auch Typen wie Stefan Bellof hervor. Einen wie ihn gab es nie wieder. Auch nicht in der “Schumi”-Ära. Bellof verkalkulierte sich bei einem Überholversuch mit einem Sportprototypen, den nur er am äußersten Limit beherrschte.
Wer sich heute in Rennanzügen an den Volants dieser Granaten ablichten lässt und vorgibt, auch nur wenige Prozent des erreichbaren Potenzials auszuschöpfen, macht sich zum Gaukler. 1989 hätte ich es nicht gewagt, mit heiserem, ruckelndem Motorklang aus irgendeiner Boxengasse heraus auf irgendeine Strecke zu rollen. Das Wissen um die Brisanz dieser Fahrzeuge war zu groß. Und sicher auch der Respekt vor denen, die es tatsächlich konnten, die nicht immer zurückkamen. Mein Blick aus dem 962 nach draußen bescherte mir kein Hochgefühl. Sondern die schlichte Erkenntnis, dass es extremere Typen gibt im Leben. Das muss man akzeptieren … können.
Verantwortlich für den Inhalt: netzwerkeins GmbH, Carsten Krome
Verfasst am 17. September 2010, dem 74. Geburtstag von Joachim Krome (verstorben am 13. November 2022)
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