“Bonne Chance!” – das steht im Französischen für “Viel Glück!” Und genau das hatte Manfred Bonjean – sein Familienname spricht sich ganz ähnlich aus – bereits im Jahr 1979. Damals fand er seinen 356 in desolatem Zustand und restaurierte ihn eigenhändig. 1982 schloss der Leverkusener Kraftfahrzeug-Meister die Aufarbeitung ab. 120.000 Kilometer zeigt der seinerzeit auf null zurückgestellte Tachometer an, davon entfielen gute 2.000 auf eine Allgäu-Ausfahrt im August 2010. Der Rheinländer mit hugenottischen Wurzeln unternahm die Sommerreise zusammen mit seiner Frau und zwei befreundeten Paaren, die ebenfalls auf den Porsche-Urtyp schwören.
Bonne Chance!
Dienstag, 10. August 2010, nahe der Grasgehrenhütte auf 1.447 Metern Meereshöhe. Wo im Winter der Skizirkus seine Blüten treibt, geht es im Sommer beschaulicher zu. Nur das gelegentliche Gebrumm einer Motorradgruppe durchbricht die Stille hoch über der Gemeinde Obermaiselstein im Allgäu. Der Riedbergpass, der dieses Gebiet mit den Talorten verbindet, ist reich an Kurven und bei Zweiradsportlern beliebt – übrigens auch bei Radfahrern, die ihre Schinderei bergauf erstaunlich gelassen auf sich nehmen. Nur hört man sie auf der großen Parkfläche unterhalb der Grasgehrenhütte nicht. Drei Damen und ebenso viele Herren lachen mit der Allgäusonne um die Wette. Es ist Urlaubszeit, und für die drei Paare steht heute eine Fahrt zum Bodensee auf dem Tagesplan. Sie blicken auf drei Porsche 356, mit denen sie die Leichtigkeit des Seins genießen. Und so berichtet Manfred Bonjean zufrieden, dass es auch mit 60 PS schwungvoll aufwärts gehe: “Den Spitznamen Dame haben – in jenen Baujahren – nur die 60-PS-Modelle, weil sie sich genauso einfach wie ein VW Käfer fahren lassen. Und so nutzten damals vor allem Damen dieses Modell.” Das Mienenspiel des Rheinländers verrät ein gesundes Maß an Hintergründigkeit. Neugierde hat er geweckt, und das weiß er nur zu gut. Später an diesem Tag in den Bayerischen Alpen wird sich noch herausstellen, dass genau das sein Beruf, nein, seine Berufung gewesen ist…
Zurück an den Ausgangspunkt: Dass die drei Porsche-Klassiker zum Stelldichein hierher an die Grasgehrenhütte gekommen sind, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken. Am Vortag besuchen sie das Birgsautal, an dessen Talschluss Einödsbach, Deutschlands südlichstes Dorf, liegt. Mit Honigeimern in den Händen – die Imkerei gehört zu den Spezialitäten dieser wilden Gegend – erreichen sie den Parkplatz Faistenoy. Und den will der Verfasser dieser Zeilen eigentlich nur Frau und Tochter vorführen und damit andeuten, was für ein Bergabenteurer er früher einmal war. Doch es ergibt sich ein zufälliges Gespräch unter Porsche-Enthusiasten und eine Verabredung für den nächsten Morgen, an besagtem Dienstag…
“Glück gehabt!”, könnte man dazu sagen. Wer solches einem anderen wünscht und obendrein Franzose ist, der sagt “Bonne Chance!” – dass sich der Familiename Bonjean ähnlich anhört, mag Zufall sein. Den bald 69-Jährigen konnte eine berufliche Laufbahn in der Industrie nicht reizen. 1956 begann er mit 338 (!) weiteren Lehrlingen in der Lehrwerkstatt des damaligen Kölner Volkswagen- und Porsche-Generalvertreters an der Vogelsangerstrasse in Köln-Ehrenfeld eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Manfred Bonjean tauschte nach dreieinhalb Jahren Lehrzeit und mehreren Jahren als Mechaniker die Rollen. 1963 nahm er die Aufgabe als Techniktrainer für Volkswagen, kurzzeitig Porsche (356) und zwischenzeitlich Audi an. Er gab sie bis zu seiner Pensionierung 2007 nicht wieder ab. Jungen Mitarbeitern – aber auch bereits erfahrenen Kollegen – die Technik dieser Marken vermitteln – das war seine Berufung. In den letzten Berufsjahren war die Entwicklung des Trainingsprogramms “Volkswagen Technologie für Auszubildende” mehr als ein Vollzeitjob für ihn. “Da habe ich bis zu 14 Stunden am Tag drangesessen, so sehr faszinierte mich diese Aufgabe!”, erzählt Manfred Bonjean, der mit 22 Jahren seine ersten Vorträge vor Lehrlingen seines Ausbildungsbetriebes hielt. Es ging um die Getriebetypen 519, 644, 716 sowie 741, allesamt im Porsche 356 verbaut. Der Zeitzeuge dokumentiert: “In unserer Lehrwerkstatt war dazu ein Schulungszentrum für Volkswagen und Porsche eingerichtet”. Doch 1963 tat sich Entscheidendes: Porsche bot den 911 zunächst parallel zum 356 als Neuwagen an und löste 1965 den 356 ab. Ab sofort genoss der Elfer bei Porsche Priorität.
“Plötzlich stand alles, was mit dem 356 zu tun hatte, in der Kundendienstschule zur Disposition”, rekapituliert Manfred Bonjean, “ich erwarb später das gesamte Werkzeug, ohne anfangs ein entsprechendes Auto zu besitzen.” Viele Jahre vergingen, ehe sich 1979 eine günstige Gelegenheit ergab: Ein 1961 an den diplomatischen Dienst ihrer Majestät, der Königin von England, ausgeliefertes Coupé bedurfte einer gründlichen Wiederbelebung. Vollständig erhaltenes Bordwerkzeug wies auf ein weitgehend unbeachtetes Dasein des 356 im Dornröschenschlaf am Straßenrand hin. “Da fehlte rein gar nichts!”, wundert sich der Restaurateur in eigener Sache bis heute. Mit der Erlaubnis, den Karosseriebau seiner Firma in Anspruch nehmen zu dürfen, längst erworbenes Fachwissen, dem Spezialwerkzeug und der Technischen Literatur in den Händen legte Bonjean, damals ein Enddreißiger, mit der Technikrestauration los. Sein Ziel: Es sollte danach lange Ruhe mit Folgereparaturen sein. Vielleicht ahnte er nicht, wie lange: Auch drei Jahrzehnte danach verliert der revidierte Motor keinen Tropfen Öl. Die oft gehörte Erklärung, es komme darauf an, wie man es mache, mutet durchaus geheimnisvoll an.
Es ist verständlich, dass “alte Hasen” ihr Wissen nicht einfach so preisgeben. Auf etwas energischeres Nachfragen erwacht in Manfred Bonjean dann doch der Lehrmeister und er beginnt seine Aufzählung: “Ich habe mir die gesamte Technik des Fahrzeuges Schritt für Schritt bis ins Detail vorgenommen und gemäß den Hinweisen in den Reparaturleitfäden restauriert. Dabei hilft manchmal Detailwissen: ‘BV Aral’ bot bereits in den 50er Jahren bleifreien Kraftstoff an, weshalb Volkswagen und Porsche darauf abgestimmte Ventilsitze und Ventile verwendeten. Fazit: Nur das kann eine Restaurierung anstreben – alles muss perfekt funktionieren und sich anfühlen wie am ersten Tag. Dann kann man später auch problemlos große Reisen mit dem alten Schätzchen riskieren.”
In einem Punkt gestattete Manfred Bonjean einen Kompromiss: “Die Außenfarbe ‘Elfenbein’ entspricht nicht dem Status bei Werksauslieferung. 1961 war dieser 356 nämlich in einer anderen Farbe lackiert. Aber irgendein Vorbesitzer hatte auf diese Farbe gewechselt und die sollte nun – auch ein Stück Authentizität – beibehalten werden. Es war kein Problem, an der Mischbank das zeitgenössische ‘Elfenbein’ zu generieren. Der Farbauftrag ist selbstverständlich neu.” Wobei neu in diesem Fall bedeutet: 1981 aufgetragen, also auch schon wieder fast 30 Jahre alt. Zur ersten Stuttgarter Porsche Parade 1982 war sie dann fertig aufgearbeitet, die “356-Dame”. Den ja etwas scherzhaft gemeinten Rufnamen begründet Manfred Bonjean auch mit überschaubarer Motorisierung, deren ökonomische Vorzüge nicht zu verachten sind: “Ob Sie es mir nun glauben oder nicht – zwischen 120 und 160 km/h auf der Autobahn komme ich mit siebeneinhalb bis achteinhalb Litern bleifreiem Superbenzin aus!” Möglicherweise beflügelte ihn die gezeigte Genügsamkeit zu ausgeprägter Mobilität. Dem 2.000 Kilometer langen Allgäu-Ausflug folgten weitere 1.500 Kilometer in entgegengesetzter Richtung, nach Timmendorfer Strand. “Wir durchquerten also in diesem Sommer das gesamte Bundesgebiet.”
Zurück in der Heimat, war lediglich Abschmieren angesagt. Wie das vor sich geht, beschreibt der Experte so: “Es war früher nicht möglich, bei Wartungsarbeiten eine Hebebühne zu blockieren, weil es in den Betrieben (noch) keine gab. Der Spezialwagenheber tat es genauso – so einen habe ich in heute in meiner Garage, um die Fettpistole anzusetzen. 30 Minuten – und das Auto ist oben!” Ambitionen, professionelles Wissen in eine Selbstständigkeit zu überführen, verspürte Bonjean nie. Dabei boomt das Geschäft mit den alten Autos. “Wissen Sie”, philosophiert er, “es gibt etwas, das mehr wert ist als Geld. Ich hätte meine Arbeit mit den Volkswagen-Spezialisten bis zum VW-Nachwuchs gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen.” Noch einmal blitzt der Pädagoge in ihm auf: “Das muss Ihnen mit Ihrer Zeitschrift doch ganz genauso gehen!”
Erwischt! Oder, um frankophon zu bleiben: “Touché!” Allein diese Feststellung lässt die Zufallsbekanntschaft im Allgäu endgültig zum Glücksfall werden. Viele Details wären noch festzuhalten, beispielsweise die überholten Solex-Vergaser (O-Ton: “Jetzt mal ganz langsam, 32 NDIX”) oder die im Zehn-Jahres-Turnus ausgewechselten Bremsschläuche – die wachsen nämlich von innen zu und dadurch können aufgrund des Druckanstiegs die Bremsen überhitzen. Doch was wirklich zählt an diesem Dienstag, den 10. August 2010, ist etwas anderes: Da sitzen Menschen in den schönen Autos, und manche sind von Herzen Mensch geblieben. Muss es verwundern, Porsche-Freunde in der Bergwelt zu treffen? Bezeichnend, dass es für unser 356-Trio nach dem Fotostopp talwärts weitergeht. Der Bodensee mit seiner Kulturlandschaft ruft sie und ihre Porsche – das Leben kann beglückend sein! Und wer seinen Mitmenschen dasselbe wünscht, gibt ihnen ein “Bonne Chance!” mit auf den Weg. Manfred Bonjean hatte Glück, ganz ohne Zweifel. Die anderen Mitglieder seiner “Honigeimer-Connection” aus dem Birgsautal lernen Sie noch kennen.
Text und Fotos: Carsten Krome
– mit freundlicher Unterstützung durch Herrn Manfred Bonjean –
Tech-Specs: 1961er 356 B T5 Coupé (1.600 ccm)
Bauart: bei Reutter in Stuttgart gefertigtes Coupé; lackierte Stoßstangen mit verchromten Zierleisten und Hörnern, unteres Frontblech mit zwei ovalen Lufteinlässen zur Kühlung der Bremsen; breiter, verchromter Kofferraumdeckelgriff mit integriertem farbigem Wappen; an vorderer linker Tür montierter Chrom-Außenspiegel; vorderes Dreiecksfenster in Drehfenster-Ausführung, hintere Seitenscheiben ausstellbar, verchromte Schweller-Zierleisten; Motorhaube mit einem verchromten Luftgitter; tropfenförmige, einteilige Rückleuchten mit darüber angeordneten Rückstrahlern (US-Variante); hintere Stoßstangenhörner mit Aussparungen für Auspuffrohre
Lackierung: Originalfarbton “Elfenbein” (6204)
Motor: luftgekühlter Vierzylinder-Boxer Typ 616-1; Vier-Ring-Kolben; Grauguss-Zylinder; zwei Ventile pro Zylinder; zentrale Nockenwelle; Ventilsteuerung über Stoßstangen und Kipphebel; Doppelauspuffanlage mit verchromten Endrohren
Gemischaufbereitung: 2 Solex-Doppelfallstrom-Vergaser Typ “32 NDIX”
Hubraum: 1.582 ccm
Bohrung: 82,5 mm
Hub: 74 mm
Verdichtung: 7,5 : 1
Motorleistung: 60 PS bei 4.500/min
maximales Drehmoment: 112 Nm bei 2.800/min
Motorölfüllung (mit Ölsiebreiningung): ca. 4,0 l
Motorölfüllung (ohne Ölsiebreinigung): ca. 3,0 l
Motorölfüllung (mit Nebenstromölfilter und Ölsiebreinigung): ca. 5,0 l
Kraftübertragung: mechanisches Viergang-Getriebe Typ 741-0 mit Porsche-Sperrsynchronisierung; 180-Millimeter-Tellerfederkupplung; Hinterradantrieb
Getriebeölfüllung: 3,5 l
Bremsanlage: Trommelbremsen, hydraulisch betätigt; Leichtmetall-Bremstrommeln mit 280 mm Durchmesser und 72 axial angeordneten Kühllamellen; 40 mm dicke Reibbeläge
Radaufhängungen (Vorderachse): Einzelradaufhängung an Doppellängslenkern; zwei durchgehende Vierkant-Blattfederstäbe aus einzelnen Federblättern übereinander; Teleskop-Stoßdämpfer; Stabilisator
Radaufhängungen (Hinterachse): Einzelradaufhängung an Pendelachse mit Längsschubstreben; runde, querliegende Drehfederstäbe; Teleskopstoßdämpfer
Räder: silber lackierte Lochscheiben-Stahlfelgen (4,5J x 15 Zoll) mit verchromten Radzierkappen (60 PS ohne Kennzeichnung, gegen Aufpreis mit Plakette)
Reifen: Michelin “X Radial” (155 R 15)
Interieur: lackierte Armaturentafel mit zentralen Instrumenten, obere Armaturenbrettverkleidung mit schwarzem Lederbezug; Dreispeichen-Lenkrad in Schüsselform mit schwarzem Kunststoffkranz und Metallspeichen; schwarze Leder-Ausstattung, Vordersitze mit Kopfstützen in Rollenform; Original-Blaupunkt-Radiogerät Typ “Köln” mit Röhrenverstärker
Leergewicht: 900 kg
Laufleistung nach Restauration: 120.000 km, ca. 300.000 km insgesamt
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
Beschleunigung (0 – 100 km/h): 15,0 sec.
Normverbrauch: 7,6 l/100 km gemäß DIN 70030
Listenpreis (1960): 13.300 D-Mark
Marktwert: je nach Zustand ca. 10.000 – 50.000 Euro
Produktionszahl: 20.597 (gesamte Modellreihe 356 B von 1960 bis 1963, sämtliche Motorversionen)