Wer an den 944 turbo Cup erinnert, bemüht allzu gern ein Schlagwort. Es lautet: verdeckte Leistungssteigerung. Wunderdinge sind dem Heraufsetzen des Turbo-Ladedrucks nachgesagt worden. Der Weg zum zusätzlichen Schub soll über eine Zweckentfremdung des Zigarettenanzünders geführt haben. War es tatsächlich möglich, das eigentlich verplompte Ladedruck-Regelventil auf solch unerlaubte Weise zu umgehen? Weiter heißt es, dass während der Auslaufrunden der Cup-Läufe die Corpora Delicti in hohen Bögen aus den Seitenfenstern geflogen seien, um keine Indizien zu hinterlassen. Alles Dichtung oder auch ein Fünkchen Wahrheit? Um dies aufzulösen, haben wir die Fakten noch einmal für Sie zusammengetragen. Und sind zu dem eindeutigen Schluss gekommen, dass das ganze Gerede dem historischen Stellenwert des ersten Porsche-Markenpokals nicht gerecht wird.

Es ist Sonntag, der 10. April 2005. Der Frühling zeigt sich von seiner sonnigen Seite, und es ist Renntag auf dem Hockenheimring. Die über den Winter aufgrund der Einführung des Porsche Sports Cups unter Druck geratene GTP-Veranstaltungsreihe zelebriert ihren Saisonauftakt. Kunterbunt geht es zu im Motodrom, und auch einige 944 turbo in Cup-Spezifikation sind mit von der Partie. Ob das alles Veteranen des ersten Porsche-Markenpokals sind oder auch Nachbauten? Bei einem etwas verlebt aussehenden Exemplar aus der Schweiz besteht kein Zweifel. Die Spuren der Vergangenheit haben der Farbgebung in Weiß, Blau und Rot zwar zugesetzt, doch es handelt sich um das 1989 von Jörg van Ommen im 944 turbo Cup gesteuerte Original. Lesonal – ein Hersteller von Autolack-Reparatur-Systemen –, tritt als Hauptsponsor auf, was dem von Max Moritz in Reutlingen eingesetzten Coupé über die eigentlichen Renntermine hinaus einen zusätzlichen Tourneeplan beschert. Es wird im Autoteile- und Zubehör-Großhandel präsentiert. Wann immer er kann, begleitet der inzwischen zum Berufsfahrer in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) aufgestiegene van Ommen die Promotion-Auftritte. Dann versieht er die Poster, die ihn in Aktion zeigen, mit seinen Autogrammen. Er teilt sich dieses Los mit etlichen seiner Kollegen, die gegen Ende der achtziger Jahre in den Einzelhandel entsandt werden, um vor Ort ihre Geldgeber zu vertreten.

Der Niederrheiner weiß, was auf dem Spiel steht. 1989 nimmt er die letzte Chance wahr, den 944 turbo Cup zu gewinnen. Im darauf folgenden Jahr, das spricht sich herum, soll der erste Porsche-Markenpokal der Geschichte durch den Carrera Cup abgelöst worden sein. Jörg van Ommen hat seit dem 21. September 1986 eine offene Rechnung zu begleichen. Nicht er hat sich den Titelgewinn sichern können, sondern Joachim Winkelhock, der 1987 in die Formel 3 abwandert, 1988 dort zu Meisterehren gelangt und 1989 an die Tür zur Formel 1 klopft. Mit dem französischen Rennstall AGS-Ford scheitert er jedoch an der Vorqualifikation. Im Sommer 1989 sitzt er wie Jörg van Ommen im DTM-Mercedes. Sein ehemaliger Kontrahent hat unterdessen ein doppeltes Programm auf sich genommen. Da die DTM und der 944 turbo Cup fast immer an ein- und demselben Wochenende stattfinden, springt van Ommen hin- und her. Genauso handhabt es Roland Asch, sein erklärter Hauptgegner. Auch er tritt für “den Daimler” in der DTM an und ist zugleich der amtierende Titelträger im 944 turbo Cup. Der Ford-Händler aus dem schwäbischen Ammerbuch geht zum zweiten Mal mit der Startnummer eins ins Rennen. 1988 gelingt es ihm, die im Jahr zuvor errungene Meisterschaft souverän zu verteidigen, was ihm den Beinamen “Mis(ch)ter turbo Cup” einbringt.

Im Verfolgerfeld kommt Unruhe auf. Zu überlegen agiert Asch, der 1986, bei seinem ersten Angriff auf die Cup-Krone, aufgrund eines Getriebeschadens im Finalrennen auf dem Nürburgring aufstecken muss und seitdem unbezwingbar zu sein scheint. In den ersten acht Rennen der Saison 1988 fährt Roland Asch als Sieger durchs Ziel, obendrein sichert er sich sieben Trainingsbestzeiten. Die Unterlegenen, keiner von ihnen ist ein Angsthase, wittern Betrug. Es wird ein Vergleichstest aller Spitzenfahrer auf neutralem Boden und mit neutralem Auto organisiert. Doch der gerät zum Eigentor, woran der Österreicher Georg Pacher nicht ganz unbeteiligt ist. Der Zweite in der Punktwertung schlägt den Salzburgring als Ort der Handlung vor. Dort kennt er sich aus, und er will zeigen, dass er der Chef im Ring ist. Doch Pachers allzu durchsichtige Taktik geht daneben. Roland Asch, der erst einmal vor den Toren der Mozart-Stadt im Renntempo unterwegs gewesen ist, legt erneut die schnellsten Rundenzeiten vor. Von nun an herrscht Ruhe, und das Niveau steigt. Vereinzelte DTM-Geldgeber engagieren sich. Roland Asch erhält zur Saison 1989 das Unternehmen Fuji Film als neuen Co-Sponsor. Seit Paul-Ernst Strähle 1987 sein Vertragspartner geworden ist, verdient er, der immerzu lachende Idealist, endlich Geld mit der Rennfahrerei.

“Roland, lass laufa! Deine Herrenberger”, ermuntern ihn die mitgereisten Schlachtenbummler auf ihren Transparenten, die sie gegenüber den Boxen aufhängen. Es ist angerichtet für das Duell zweier Stilisten, die sich 1989 nichts schenken. Es geht ums Prestige, wirtschaftlich sind sowohl Roland Asch als auch Jörg van Ommen durch ihre DTM-Verpflichtungen abgesichert. Es ist eine Augenweide, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Sie verstehen es, eine absolut schnörkellose Linie zu ziehen mit einem Hecktriebler, der sauber geführt werden will. Obwohl van Ommen noch einmal ein neues Auto mit der Fahrgestellnummer WPO ZZZ 95 ZKN 10 1206 erhält (der Kennbuchstabe K steht Porsche-intern für das “K-Programm”, gleichbedeutend mit dem Modelljahr 1989), behält Asch die Nase vorn. Er gewinnt weitere sechsmal, van Ommen nur zweimal. In der Statistik der schnellsten Trainingszeiten sieht es für Roland Asch noch besser aus: Siebenmal holt er die Pole-Position, zweimal Jörg van Ommen. Nach Punkten steht es 390 zu 361, was dem Charakter einer hart durchfochtenen Cup-Saison noch am ehesten entspricht. Mit 317 Zählern fällt Andy Bovensiepen auf Rang drei etwas ab, und mit 217 Punkten wird Georg Pacher Vierter.

Das Wichtigste ist jedoch das positive Fazit, das nach dem Abschluss des ersten Markenpokals in der Geschichte von Porsche gezogen werden kann. Der 944 turbo Cup nimmt 1986 den Betrieb mit 220 PS auf. Zur Saison 1987 wird ein ABS freigegeben – und die Motorleistung trotz eines Dreiwege-Katalysators, Lambda-Sonde und bleifreien Euro-Superbenzins bei 250 PS neu festgelegt. Ab dem Norisring-Rennen 1988 kommt ein offenes Auspuff-Endrohr zum Vortrage, es bleibt jedoch – offiziell – bei 250 PS. Dieter Glemser, der Ex-Rennfahrer und Cup-Manager, schnürt ein Maßnahmenpaket, um Chancengleichheit sowie sportliche Stringenz zu gewährleisten. Mittels einer speziellen Folie werden der Sensor für die Klopfregelung, das Ladedruck-Regelventil des Turboladers und das digitale Motorsteuergerät – eine Bosch-Motronic – verplombt. Zusätzlich kündigen die Kommissare technische Stichproben an. Nach jedem Cup-Lauf lassen sie drei Wagen plombieren und zu Porsche ins Entwicklungszentrum Weissach zwecks Überprüfung überführen. Doch von Anfang an geht das Gerücht um, der Turbo-Ladedruck könne trotz aller Voraussicht der Porsche-Verantwortlichen auf bis zu 1,1 bar angehoben werden. Die Konsequenz wäre ein klarer Wettbewerbsvorteil. Von einer Umgehung des Ladedruck-Regelventils ist die Rede. Nur – wie kann so etwas funktionieren, ohne Spuren zu hinterlassen? Lange Zeit tappt die Szene im Dunkeln, bis sich erste Streckenposten zu Wort melden. Sie wundern sich, dass während der Auslaufrunden vermehrt Zigarettenanzünder weggeworfen werden, und das von Rennfahrern! Die qualmen doch wohl nicht in ihren Autos?! Jedenfalls haben sie nach dem 944 turbo Cup mehr zu kehren als nach jedem anderen Rennen. Kehrwoche – die andere Deutung einer schwäbischen Redewendung. Aber: Warum fliegen überhaupt Zigarettenanzünder aus den Seitenfenstern?

(Nicht nur) wir haben das Geheimnis gelüftet – mehr dazu im Randthema! Angesichts der gefürchteten Nachprüfungen in Weissach müssen die Corpora Delicti – umgebaute Zigarettenanzünder – mit dem Eintreffen im Parc Fermé (gesicherter Bereich des Fahrerlagers, in dem alle Rennfahrzeuge bis zum Ablaufen einer Protestfrist von meist 60 Minuten unter Bewachung aufbewahrt – und zu eventuellen technischen Nachuntersuchungen bereitgehalten werden, Red.) verschwunden sein. Dass der 944 turbo Cup spätestens 1989 “sauber” ist, stellt ein Gasteinsatz des Werks-VIP-Wagens auf der Berliner Avus unter Beweis. Nirgendwo sonst geht es länger unter Volllast geradeaus, wären Manipulationen ähnlich hilfreich. Obendrein engagiert Porsche Harald Grohs für den gelb-rot-weißen Shell-Boliden. Der Essener ist nicht nur mit großem Kämpferherzen, sondern auch mit einer riesengroßen Trickkiste ausgestattet. Und dass die Schwaben sich peinlichst genau an ihr eigenes Reglement halten, bezweifelt niemand unter dem Funkturm. Dort, wo jede einzelne Pferdestärke zählt, schafft es “Nippel” Grohs mit weißer Weste in die erste Startreihe. Neben ihm steht Roland Asch im ebensowenig dubiosen Strähle-Exemplar. Den Abgang des Gastfahrers könnte nicht einmal der Düsseldorfer Stuntman Hermann Joha in der dargebotenen Vollendung überbieten. Einen Wimpernschlag nach dem Startzeichen, vor der ersten Bremszone, rutscht Harald Grohs trotz ABS auf stehenden Rädern in den Notausgang. Das Feld zieht in geschlossener Formation an ihm vorbei.

Entscheidend für den 944 turbo Cup ist ungeachtet solcher Begebenheiten nicht, wie gut es geradeaus voran geht – von den Windschattenschlachten auf der Avus einmal abgesehen. Es gilt, das Eigenleben in den Kurven in den Griff zu bekommen. Dies liegt im Ermessen der Akteure hinter den Lenkrädern. Wer fleißig testet und sich auf die Konzeption des Fahrwerks einschießt, ist anschließend auch in der Lage, schnell und effektiv zu sein. Die Cup-Fahrzeuge bewegen sich am Limit im kontrolliert-instabilen Bereich, sie driften. Dies entspricht dem Stil der Zeit, und es erfordert Ruhe und Besonnenheit als ausgleichende Tugenden. Wer über Gebühr am Volant “telefoniert”, es andauernd hin- und herreißt, bringt die Hinterachse zum “tanzen”, wie die Fahrer zu sagen pflegen. Gemeinsam arbeiten Thomas Herold, der technische Projektleiter auf Seiten Porsches, Dieter Glemser und der Bilstein-Fahrwerksexperte Günther Hein eine gegenüber der Serie straffere Grundabstimmung aus, bei der sie sich eines alten Tricks aus dem 1972er Carrera RSR 2,8 bedienen. Sie behalten die vorgegebenen Drehstäbe an der Hinterachse bei, setzen deren Funktion aber durch zusätzliche Schraubenfedern außer Kraft. Gummilager mit Motorsport-kompatiblen Shore-Härten und etwas großzügiger dimensionierte Stabilisatoren – vorn 27 Millimeter Durchmesser, hinten 21 – erweitern den Ausstattungsumfang. Dunlop liefert die Einheitsreifen des Typs “D40” in 245/45 VR 16 vorn und 255/40 VR 16 hinten. Auf nasser Fahrbahn wird der Größenmix des Serien-951, sprich: 944 turbo, übernommen. Im Eröffnungsjahr liefert Porsche die ersten 50 produzierten 944 turbo Cup auf polierten, acht und neun Zoll breiten Fuchs-Schmiedefelgen aus, was der Marken-Identifikation zugute kommt. 1987 erfolgt im Zuge der PS-Zulage von 220 auf 250 PS und der ABS-Einführung ein Räderwechsel. Statt der “Füchse” sind “Telefonscheiben” aus Magnesium die neuen Felgen der Wahl, und das bleiben sie bis zum Schluss. Ihr geringeres Gewicht trägt zur Verbesserung der Dynamik und der Fahrbarkeit des Gesamtpaketes bei.

Magnesium – aus dem leichten Edelmetall bestehen auch Ansaugbrücke und Ölwanne, was das im ersten Bauabschnitt 250 km/h schnelle Coupé zusätzlich aufwertet. 1986 beträgt der Neupreis ab Werk 78.900 D-Mark, was gegenüber 73.800 D-Mark für die Serien-Ausführung fast günstig erscheint. Bis 1989 ziehen sowohl der Neupreis – 98.200 D-Mark –, als auch die Gesamtdotierung – 675.000 D-Mark –, als auch die Höchstgeschwindigkeit – 280 km/h – noch einmal an. Porsche stellt in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre Zukunftstechnologien auf den Prüfstand. Selbstbewusst, wie die Schwaben sind, demonstrieren sie ihre Innovationskraft unter dem Vergrößerungsglas des Spitzensports. Der 944 turbo Cup ist ein Bekenntnis zur Weiterentwicklung, und in gewisser Hinsicht steht er in der Tradition von Professor Dr. Ing. Ernst Fuhrmann, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG. Der hatte stets an den Porsche mit Motor vorn geglaubt, und mehr als ein halbes Jahrzehnt nach seiner vorzeitigen Abberufung darf der Typ 951 im Rennen zeigen, dass Porsche nicht allein der 911 ist. Aus heutiger Sicht – im Zeitalter von Boxster, Cayenne, Cayman, Panamera sowie Macan – ist diese Botschaft als ein Ausblick in die Gegenwart zu bewerten. Könnte es stärkere Argumente für die historische Relevanz einer Sonderserie von Porsche geben?

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins