Seine Rennporsche waren Werbeträger für Marken wie H&R, Nimex oder Beru und a(ttra)ktive Mitgestalter der Rennsport-Geschichte in den 80er- und 90er-Jahren. Drei Porsche 935 dp II gab er bei Designer Ekkehard Zimmermann in Auftrag. Das allein erhob ihn in den Adelsstand des meistbeschäftigten Fahrers dieses Wagentyps. Obendrein mietete er zwei weitere Exemplare an – 1988 war das der Fall, als er den ersten seiner Porsche 935 dp II verkaufte und die Fertigstellung des Nachfolgemodells nicht erwarten konnte. Mit Einsätzen in fünf verschiedenen dp-II-Chassis avancierte Jürgen Schorn, Jahrgang 1950, zum Vorreiter seiner Disziplin. Kurz nach seinem 59. Geburtstag verstarb der Rheinländer am 29. September 2009 nach langer, schwerer Krankheit.

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“9. Int. Preis der Stadt Esslingen”, Oktober 1987, Hockenheimring: Jürgen Schorn fährt bei seinem ersten Einsatz mit dem neuen Doppellader-935 dp II in der Spezial Tourenwagen Trophy zum Sieg; Copyright: Sportfoto Carsten Krome

Freitag, 14. Oktober 1988, 15.12 Uhr: Abschluss des ersten Zeittrainings der Spezial Tourenwagen Trophy (STT) auf dem Hockenheimring. Hans Holnburger, der Erstplatzierte, legt im Schnitzer-BMW M1 neun Runden zurück – mehr Kilometer macht kein anderer Fahrer während dieser ersten Session, auch nicht Olaf Manthey im Mercedes 190E 2,3-16V. Jürgen Schorn (38) begnügt sich mit zwei Umläufen, er lässt Rang zehn notieren. Für ihn ist es eine spezielle Fahrt. Beim “10. Int. Preis der Stadt Esslingen” gibt Schorns kurz zuvor fertiggestellter Porsche 935 dp II seinen Einstand. Im Fahrerlager ist die Anteilnahme groß, jeder will den Neuwagen aus nächster Nähe betrachten. Im Montagezelt hat es Motorenmann Reinhold Schmirler schwer, sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Immer wieder soll er die Heckhaube abnehmen, um einen Blick auf den Doppellader zu gewähren. Das Aggregat wartet mit echter Innovation auf: eine bei Dany Snobeck in Frankreich unter der Firmierung Sodemo entwickelte Motorelektronik. Snobeck hat 1979 selbst auf Porsche 935 (Chassis #930 770 0904) an den 24 Stunden von Le Mans teilgenommen. Prinzipiell entspricht die Sodemo-Lösung der Bosch-Motronic, die Porsche zu diesem Zeitpunkt nur im Carrera 3,2 anbietet. Der 930 turbo 3,3 muss noch mit der K-Jetronic auskommen. Die Tuner wissen aber längst, dass die Tage der 1973 eingeführten, mechanisch-hydraulisch gesteuerten Kraftstoff-Einspritzung gezählt sind. Pioniere wie Rolf Heidl suchen nach Alternativen, während das Werk selbst zunächst an der altehrwürdigen Technologie festhält. Weil eine Motronic-Adaption auf den Porsche-Turbomotor offiziell nicht verfügbar ist, orientiert sich Reinhold Schmirler in Richtung Frankreich.

Dass die Sodemo-Elektronik sowohl die Leistungsentfaltung, als auch die Fahrbarkeit nachhaltig beeinflussen soll, erfährt Jürgen Schorn aus erster Hand. Der Leverkusener Gerüstbau-Unternehmer, am 15. September 1950 geboren, greift die Gelegenheit beim Schopfe. Ihm gefällt es, neue Technologien gewinnbringend einzusetzen. Er fährt gut damit, wie sich beim “10. Int. Preis der Stadt Esslingen” herausstellt. Auf Platz fünf im Abschlusstraining folgt der zweite Platz im Rennen. Es ist eine Galavorstellung: Gleich nach der Startfreigabe zieht Jürgen Schorn an der Chevrolet Corvette des designierten Divisionsmeisters Jürgen Feucht vorbei und rückt an die vierte Stelle vor. Am Ende der ersten Runde passiert ihm ausgangs Sachs-Kurve ein Lapsus: Er dreht sich in die Wiese, verliert viel Zeit. Als sich der gelbe Porsche wieder ins Feld eingereiht hat, beginnt seine Aufholjagd. Schließlich spielt Glücksgöttin Fortuna mit: Denn an der Spitze beharken sich Pole-Setter Hans Holnburger und Willy Koenig (Kremer-935 K3 #009 0003) so lange, bis nur noch einer fährt – und das ist Koenig. Der Sportwagen-Veredler sichert sich den Sieg, während Holnburger im Wald von Hockenheim ausrollt. 14,95 Sekunden trennen Willy Koenig im Ziel vom Zweitplatzierten – und das ist überraschend Jürgen Schorn! Der Enddreißiger krönt die Premiere des Porsche 935 dp II mit der vielleicht stärksten Leistung seines Rennfahrerlebens. Sechs Wochen später legt er eindrucksvoll nach. Zur Essen Motor Show 1988 debütiert die Langheck-Version seines aktuellen Wagens. Dessen Hinterteil ist vollständig klappbar ausgeführt, um den Motor für Wartungsarbeiten besser zugänglich zu machen. Vor den Hinterrädern schaffen große Ausschnitte in den Kotflügeln Platz für Wasserkühler. Porsche setzte sie bis 1978 ein, um die Ladeluft zu kühlen, ab 1979 löste das Luft-Luft-System im Kremer-935 K3 die bisherigen Luft-Wasser-Wärmetauscher ab.

Die Öffnungen in Jürgen Schorns 935 haben jedoch einen anderen Hintergrund. Statt des luftgekühlten Zweiventil-Treibsatzes soll ab 1989 ein 2,65 Liter großer Vierventil-Doppelturbo aus dem Porsche 956 für Vortrieb sorgen! Die Sensation ist perfekt, zumal sich mit Franz Konrad ein international erfolgreicher Fahrensmann in das Projekt einbringt. Darin liegt gleichzeitig aber auch das Problem. Denn Jürgen Schorn ist nun einmal kein Berufspilot wie der mit allen Wassern gewaschene Konrad. Er nimmt an Rennen teil, um Abstand vom Geschäftsleben zu gewinnen und nicht, um damit einem Broterwerb nachzugehen. Als er feststellt, dass ihn das schmale nutzbare Drehzahlband der Gruppe-C-Maschine eher zermürbt, ordnet er noch während laufender Saison den Rückbau an. Dennoch sind ihm 1989 weitere Sternstunden vergönnt. Auf dem Flugplatzkurs von Mainz Finthen erinnern er und alle anderen Aktiven der Spezial Tourenwagen Trophy an die “Geile Zeit” der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft (DRM), die dort die Fetzen fliegen ließ. Am 20. August 1989 ist Jürgen Schorn mit seiner Spezial Tourenwagen Trophy sogar bei der Sportwagen-Weltmeisterschaft auf dem Nürburgring dabei – mehr geht eigentlich nicht. 1990 drängen plötzlich neue, von den Werken stärker unterstützte Rennserien in den Vordergrund. Besonders gut kommt die von Jürgen Schorns Mentor Hans Niemann betreute DTT, die Deutsche Tourenwagen Trophäe, an – Schorn steigt dort mit einem BMW M3 der Baureihe E30 ein.

Er findet Gefallen an der Idee, mit weitgehend unveränderten Großserien-Fahrzeugen Rennen zu fahren. Als “Clubracing” charakterisiert Niemann die neue Liga und wirft damit ein Schlaglicht auf die heutige Erfolgsformel des Porsche-Breitensports. Jürgen Schorn steht vor einem Luxusproblem: Soll er zweigleisig agieren, neben dem BMW M3 auch den Porsche 935 dp II regelmäßig aus dem Stall holen? Ausgerechnet Udo Lohmann, der Promoter der Spezial Tourenwagen Trophy, nimmt ihn zur Seite und mahnt: “Wenn Du mit Deinem BMW Erfolg haben willst, musst Du den Zuffenhausener zuhause lassen und Dich zu hundert Prozent auf ein Auto einschießen!” Sein BMW-Teamkollege Karl-Heinz Wieschalla steht vor derselben Entscheidung – auch er steigt von einem Porsche 935 dp II von Franz Konrad in den M3 um. Während ihm der Abschied aus dem Porsche-Lager gelingt, wird Jürgen Schorn immer wieder rückfällig. 1990 rollt er bei fünf der elf Spezial-Tourenwagen-Trophy-Läufe mit, fährt 126 Meisterschaftszähler und den zehnten Rang in der hubraumstärksten Division ein. 1991 ist er ebenso sporadisch mit von der Partie, 1992 gar nicht, 1993 wieder regelmäßiger. Erst 1996 fällt tatsächlich der Vorhang. Otto Altenbach und Friedrich Leinemann chartern Schorns Chassis für eine komplette Saison im Veedol-Langstreckenpokal auf dem Nürburgring. 1998 erfolgt der Verkauf an Rolf Krepschik, inzwischen Eigentümer der Spezial Tourenwagen Trophy. Durch eine private Kleinanzeige in der Zeitschrift PORSCHE SCENE kommt der Kontakt zu Jörg Lorenz, dem aktuellen Eigner, zustande. Er bewegt den Porsche 935 dp II bewusst unrestauriert, noch im Erstlack, mit unvermeidlicher Patina, in jener Rennserie, für die er einst entstand: in der Spezial Tourenwagen Trophy.

Jörg Lorenz, als Restaurateur historischer Automobile vom Kaliber eines 550 Spyder geschätzt, vertritt mit dem Verzicht auf eine Aufarbeitung des Porsche 935 dp II fast schon eine Weltanschauung. Sein Standpunkt muss seit dem 29. September 2009 neu bewertet werden. An jenem Dienstag verstirbt Jürgen Schorn nach langer, schwerer Krankheit. Er erreicht das 59. Lebensjahr. Was bleibt, sind Erinnerungen an einen Rheinländer Gemütsmenschen – gesellig, freundlich, stets zu Späßen aufgelegt, dabei niemals laut oder aufdringlich. Von alten Weggefährten wie Ekkehard Zimmermann verabschiedet er sich persönlich, solange er kann. Auch Michael Gross ist bei einem dieser Anlässe dabei – in den ersten Tagen des Jahres 2014 verstirbt er selbst. Dass ihn und Zimmermann weit mehr als eine Kundennummer verbindet, unterstreicht ein Rekord: Niemand gibt mehr Porsche 935 dp II in Auftrag, drei sind es insgesamt. Der erste, Fahrgestellnummer 911 660 9057, noch mit 3,4 Liter großem Saugmotor von Horst Derkum, beschert ihm 1987 den dritten Divisionsrang in der Spezial Tourenwagen Trophy. Zur Saison 1988 entsteht aus diesem Chassis 911 660 9057 ein Doppelturbo-Aufbau, der kurzfristig an Jürgen Oppermann verkauft wird. Das zweite, gemeinsam mit Otto Altenbach in Auftrag gegebene Exemplar, erlebt am 26. September 1987 auf der Nürburgring-Nordschleife seine Feuertaufe. Nur drei Wochen später feiert Jürgen Schorn damit den ersten Sieg – beim “9. Int. Preis der Stadt Esslingen” auf dem Hockenheimring, dem Finallauf der Spezial Tourenwagen Trophy 1987.

Genau zwölf Monate später – Otto Altenbach hat sich ausgeklinkt und gemeinsam mit Jürgen Oppermanns Sponsor Tokai Feuerzeuge eine Zweiwagen-Operation im Veedol-Langstreckenpokal auf die Beine gestellt – sitzt Jürgen Schorn bereits im dritten dp-Porsche 935 II: Es ist Freitag, der 14. Oktober 1988, 15.12 Uhr…

Epilog: Jörg Lorenz ist zu verdanken, dass die Erinnerung lebendig bleibt. Stolz verweist er auf einen Schlagschrauber, in den die Initialen “J.S.” eingraviert seien und sagt: “Der Mann hat seine Spuren hinterlassen.” Hinter dem Horizont geht’s weiter, heißt es. Und wenn Jörg Lorenz seinen Motor startet, ist es für einen kurzen Moment noch immer so wie damals, im Oktober 1988, in Hockenheim.

Verantwortlich für Inhalt und Fotografie: Carsten Krome

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