1984 war Stefan Bellof, der junge, gänzlich unerschrockene Porsche-Werksfahrer aus dem hessischen Giessen, der erste deutsche Automobil-Fahrer-Weltmeister der Nachkriegsgeschichte. Doch nicht nur im 956 Gruppe C wusste er zu überzeugen. Auch in der Formel 1 nutzte das Supertalent seine Chance – und machte damit sogar Enzo Ferrari auf sich aufmerksam. Eine Retrospektive zum 40. Jahrestag der unvergänglichen Rekordrunde auf der Nürburgring-Nordschleife am 28. Mai 1983.

Stefan Bellof. Der Sohn eines Karosseriebauers kam am 20. November 1957 in Giessen zur Welt. Schon bald wuchs er in den elterlichen Betrieb hinein, erlernte des Vaters Handwerk. Seine eigentliche Liebe galt jedoch dem Motorsport. Während sein älterer Bruder Georg Bellof – ein angehender Zahntechniker – 1979 in die deutsche Formel-3-Meisterschaft aufstieg und für Furore sorgte, jagte Jung-Stefan über Kartbahnen wie die im hessischen Oppenrod. 1981 lernte er den großen Automobil-Rennsport kennen, und es fiel ein familieninterner Beschluss: Georg, der ältere Sohn, sollte den bürgerlichen Berufsweg weiter verfolgen, während Stefan das Glück auf der Piste versuchen durfte. Seine Begabung, seine Lockerheit, mit er alles anging, war offensichtlich. Der Journalist Rainer Braun erkannte früh, was für ein Talent da heranreifte – und er half hinter den Kulissen mit, als der 23-Jährige in der Formel 3 nach zwei Einsätzen ohne Budget dastand. Er hatte erst Ende Juni 1981 in Wunstorf ein Cockpit ergattert, ohne einen einzigen Testkilometer im Vorfeld die Trainingsbestzeit notieren lassen und eine Einladung zum Flugplatzrennen München-Erding – dem heutigen Standort des Flughafens Franz Josef Strauss – erkämpft. Dann war erst einmal Schluss – kein Geld.

In dieser Situation war Georg Loos bereit, einen Vertrag mit ihm zu schließen. Der Immobilienkaufmann witterte Morgenluft und band Stefan Bellof für volle zwei Jahre an sich. Sein neuer Goldjunge konnte die Formel-3-Saison 1981 im Team von Bertram Schäfer aus Bitburg in der Eifel zuende fahren – und stand beim ADAC-Bilstein-Supersprint auf dem Nürburgring, dem Meisterschaftsfinale, unfreiwillig im Mittelpunkt. Bellofs Teamkollege Frank Jelinski war einer der Titelanwärter, Franz Konrad dessen Gegenspieler. 200 Meter nach dem Start kam es zur Kollision zwischen Jochen Dauer, Konrads Manndecker, und Stefan Bellof, dem dreifachen Saisonsieger und Trainingsschnellsten. Dauer räumte dessen rot-gelben Ralt RT3 Toyota erbarmungslos ab. Der Geschädigte schleppte sich an die Boxen, ließ reparieren und kehrte auf die Strecke zurück. Er hatte bereits bei seinem Formel-3-Einstand in Wunstorf mit einer Aufholjagd begeistert. Doch die Renngötter wollten es anders. Erneut war Jochen Dauer zur Stelle, und wieder krachte es. Für Frank Jelinkski waren beide Zwischenfälle ein Segen. Er blieb von Dauers Attacken verschont und sicherte sich so den Titelgewinn.

Ende September 1981 – zum Zeitpunkt des Formel-3-Finales auf dem Nürburgring – bestanden bereits Kontakte zu Willy Maurer, einem ähnlichen Kaliber und Rennstallbesitzer wie Georg Loos. Einziger Unterschied: Während Loos auf einem veralteten Porsche 935 saß und die Aktivitäten einstellte, witterte Maurer in der Formel-2-Europameisterschaft den lange erhofften Erfolg. Der Unternehmer, dessen Imperium auch die Marke „Mampe Halb und Halb“ angehörte, war 1979 mit dem Fahrer Armin Hahne und einer Eigenkonstruktion in die Formel 2 eingestiegen. In Stefan Bellof erkannte er den kommenden Mann und noch viel mehr: einen Deutschen mit Potenzial für die Formel 1. Allerdings ging es auch hier ums liebe Geld. An Georg Loos war eine Ablösesumme zu zahlen, und mit dem nach wie vor weitgehend mittellosen Neuzugang konnte ein zinsloses Darlehen vereinbart werden. Maurers Überlegung war simpel: Sollte seine Entdeckung aus der Formel 3 irgendwann mit dem Rennen fahren Geld verdienen, und die Chancen dazu standen nicht schlecht, würde er unmittelbar daran beteiligt sein. Und dann kam die Osterzeit 1982. Während sämliche Radio- und Fernsehstationen auf die Neue Deutsche Welle – Popmusik ohne englischsprachige Texte – einstiegen, fuhr ein junger Mann aus Giessen bei den ersten beiden Läufen zur Formel-2-Europameisterschaft allen anderen um die Ohren. Sein Name war schon bald in aller Munde: Bellof, Vorname Stefan – ein Hoffnungsträger, ein kommender Champion, vielleicht sogar ein Weltmeister der Formel 1. So, wie es zeitgleich für einen Brasilianer in der englischen Formel Ford 2.000 galt. Ayrton Senna da Silva orientierte sich eindeutig in Richtung Formel 1 – dass beiden dasselbe grausame Schicksal beschieden sein würde, erahnte niemand. Bellofs früher Ruhm hatte freilich seinen Preis. Nach Abschluss seines ersten Jahres in der Formel 2 stand er bei Maurer mit der Hälfte der angefallenen Saisonkosten in der Kreide, mehr deckte das eingefahrene Preisgeld nicht ab.

Zwei Gastauftritte bei Kremer Racing innerhalb einer Woche im Spätsommer 1982 lenkten die Aufmerksamkeit in Richtung Porsche – ein gut bezahltes Engagement rückte näher. Dabei verlief sein Einstand im Kremer-Porsche 936.005 beim “Hessen-Cup” auf dem Hockenheim alles andere als wunschgemäß. Zwei der 2,1-Liter-Turbomotoren gingen während des Trainings kaputt, vom Teamsitz in Köln musste Ersatz herangekarrt werden. Der Debütant in der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft erreichte den fünften Startplatz. Ein weiterer technischer Defekt bescherte am Rennsonntag, dem 29. August 1982, einen Ausfall. Der inzwischen 24-Jährige entwickelte eine Strategie. Er wusste, dass im Sportwagen jenes Geld zu verdienen war, das er für den Formelsport brauchte. Denn ohne eine Mitgift würde ihn kein arrivierter Rennstall der Formel 1 in seine Obhut nehmen, und nur das war sein Ziel. Nach einem weiteren Start für Kremer Racing, diesmal beim 1.000-Kilometer-Rennen von Spa-Francorchamps zusammen mit Rolf Stommelen im Porsche CK5, nahmen ihn die Teamchefs der Gruppe C ins Visier. Unter ihnen war auch der Porsche-Rennleiter Peter Falk. Am 28. Januar 1983 unterzeichnete der “Stibbig” einen Werksvertrag mit den Schwaben – ein Meilenstein in der kometenhaften Karriere des Wunderknaben.

Seine Gage reichte aus, um ein Viertel aller Verbindlichkeiten aus der Formel 2 an Willy Maurer zurückzuzahlen. Bei seinem Einstand im Porsche-Werksteam wiederholte Stefan Bellof das Kunststück, das ihm bereits in der Formel 2 gelungen war. Er ging bei seiner persönlichen Premiere sofort als Sieger hervor. Seine zweite Fahrt mit dem Rothmans-Porsche 956 mit der Chassisnummer 956-007 ging in die Geschichte ein. Zum letzten Mal nahmen Boliden der Gruppe C die Nürburgring-Nordschleife unter die Räder. Stefan Bellof hatte dort vorher lediglich zwei Formel-2-Rennen in Willy Maurers Eigenbau-Kreation absolviert und keines ohne Zwischenfälle beendet. Doch das hinderte ihn nicht, einen Rundenrekord für die Ewigkeit aufzustellen: 6:11,13 Minuten, einem Durchschnitt von 202,053 km/h entsprechend! 19 Umläufe lang ließen Bellof und sein englischer Partner Derek Bell das Feld locker hinter sich. Dann hebelte am Streckenabschnitt “Pflanzgarten“ ein Luftpolster unter dem Vorderwagen das 800 Kilogramm schwere Coupé aus. Es stieg hoch und schlug spektakulär auf. Unverletzt den Trümmern entkommen, schrieb Stefan Bellof wenige Minuten nach dem Crash schon wieder Autogramme! Jacky Ickx, amtierender Langstrecken-Fahrer-Weltmeister auf dem Werks-Porsche 956, kommentierte: „Der Begriff Angst scheint in seinem Wortschatz nicht vorzukommen!“ Drei Wochen später lieferte der Herausforderer die Bestätigung. Bei den 24 Stunden von Le Mans lag er in den ersten beiden Stunden in Führung. Porsche hatte ihm ein bis dato jungfräuliches Chassis anvertraut: 956.008. Auf der langen Geraden legte die Langheck-Version 372 km/h vor – das war fast so schnell wie die 917-Langheck-Coupés im Juni 1971.

1984 war Stefan Bellof reif für die Formel 1. Seine Absage an Arrows-BMW, verbunden mit einer Verlängerung des Porsche-Vertrags, rief den englischen Teambesitzer Ken Tyrell auf den Plan. Er besaß lediglich Cosworth-Saugmotoren. Alle anderen Rennställe der Formel 1 verwendeten Turbo-Triebwerke, wie sie Porsche unter der Leitung des Ingenieurs Hans Mezger im Lohnauftrag für McLaren-TAG entwickelte. Schon träumten Optimisten vom Tyrell-TAG, doch in Wirklichkeit war diese Konstellation 1984 ausgeschlossen. McLaren standen die TAG-Treibsätze exklusiv zur Verfügung. Bellof setzte trotzdem seine Unterschrift unter ein Abkommen mit Tyrell. Parallel nahm er an der Endurance-Fahrer-Weltmeisterschaft für das Porsche-Werksteam und für Brun Motorsport an der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft teil. Bellofs Vorstellung beim Großen Preis von Monaco am 3. Juni 1984 unterstrich seine einzigartigen Fähigkeiten. Vom letzten Startplatz kommend und mit unterlegenen Material unterwegs, peitschte der Zauberlehrling im strömenden Regen auf den dritten Rang nach vorn. Es hätte der zweite Platz hinter Ayrton Senna da Silva werden können, wenn nicht sogar der Sieg. Denn der führende Alain Prost verlangsamte plötzlich sein Tempo. Jacky Ickx, der als Renndirektor fungierte, brach den Großen Preis aufgrund der Regenfälle vorzeitig ab. Bellof fühlte sich um die Gelegenheit betrogen, der Weltöffentlichkeit drei Jahre nach seinem Einstieg in die Formel 3 zu zeigen, wer er war. Sein Verhältnis zu Jacky Ickx – dem zwölf Jahre älteren Teamkollegen bei Porsche – erlitt einen irreparablen Riss.

Wann immer sich ihm die Möglichkeit bot, ließ er den Belgier hinter sich. Er nannte ihn oft “Jakob” und war nicht bereit, einen wie auch immer gearteten Sonderstatus des sechsfachen Le-Mans-Siegers zu akzeptieren. Am 2. Dezember 1984 hatte er ihn entzaubert: Als erster Deutscher der Nachkriegsgeschichte war Stefan Bellof neuer Endurance-Fahrer-Weltmeister. Jacky Ickx und Jochen Mass mussten sich geschlagen geben, Mass in der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft ein zweites Mal. Er stand beim Porsche-Kundenteam von Reinhold Joest unter Vertrag, während Bellof sich für eine Rekordgage vom Schweizer Automaten-Aufsteller Walter Brun verpflichten ließ. Im Regen des Nürburgrings, drei Jahre nach dem Eklat beim Formel-3-Finale 1981, machte er sein Meisterstück Nummer zwei. Er war nicht mehr zu halten, und längst erkannte Enzo Ferrari im Rohdiamanten aus Hessen einen Siegfahrer in der Formel 1. 1986, so der Plan, sollte er für die Scuderia Ferrari antreten.

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Am 20. November 1984 feierte Stefan Bellof seinen 27. – und letzten – Geburtstag. Reisen und Fitnesstraining bestimmten sein neues Leben. Der Dienstwagen, ein weißer Porsche 928 S, kam selten zur Ruhe. Er, der Deutschen Hoffnungsträger, hatte buchstäblich keine Zeit – der 1. September 1985 rückte näher. In Spa-Francorchamps schnappte eine tödliche Falle zu. In einer Kurve, in der jeder Überholversuch als schier unmöglich galt. Ihr Name: ”L’Eau Rouge”.

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