Mehr ein Blog-Beitrag denn ein nüchternes Protokoll einer Renntaxifahrt im 1974 gebauten Carrera RSR: Ich fuhr Porsche mit Jacky Ickx. Auf dem Omloop Terlamen Zolder. Vor mehr als 30 Jahren.

Ein Augenblick der Ambivalenz: Jacky Ickx (im Bild links), Stefan Bellofs Unfallgegner an jenem schicksalhaften 1. September 1985 in Spa-Francorchamps, ist vier Jahre nach dem Drama in den belgischen Ardennen mein Textfahrer im Porsche Carrera RSR von Michael Beilke; netzwerkeins-Archivbild: Ingrid Friedsam

Dies ist eine Zeitreise zurück in das Jahr 1989 – (so ziemlich) auf den Tag genau sogar. Angetriggert hat sie das Motorsport XL Weekend am 31. August und 1. September 2018. Ich bin hier vor Ort, um über die Jungen Wilden im DUNLOP 60 und im DMV GTC zu berichten. Der Veranstalter beider Rennserien ist gleichzeitig auch ein Verleger: Ralph Monschauer gibt den Magazintitel Motorsport XL heraus, dort werden die Portraits über Nachwuchstalente wie Carrie Schreiner, Laurents Hörr oder auch Luis Glania erscheinen. Für mich, der hier vor 32 Jahren zum ersten Mal – bei der DTM 1986 – als akkreditierter Journalist zu Gast gewesen ist, schließt sich der Kreis. Allein schon der Weg hierher über die alte Staatsstraße N273 über die Gemeinden Ittervoort, Kinrooi und Bree ist eine einzige Zeitreise. Sie führt mich zurück zu einem Ereignis, das sich (so ziemlich) auf den Tag genau vor 29 Jahren ereignet hat – an einem Sonntag im Spätsommer 1989. Laut meinen für gewöhnlich zuverlässigen Aufzeichnungen muss es der 20. August gewesen sein.

 

Rückblende: Auf dem belgischen Omloop Terlamen Zolder zieht eine geschlossene Gesellschaft ihre Bahn: ein Sportfahrer-Lehrgang inklusive Renntaxifahrten mit Porsche-Fahrzeugen, heute würde das Ganze neudeutsch “Coachingday” heißen. Vier Jahre, nachdem Jacky Ickx zum letzten Mal einen Porsche 956 Gruppe C im Werksauftrag pilotiert hat, nimmt er noch einmal in einem Zuffenhausener Rennboliden Platz. Mit 40 hat der Regengott, Endurance-Weltmeister und Le-Mans-Sieger Ende der Saison 1985 seinen (knitterfreien) Hut genommen, gewiss auch unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse am 1. September 1985 in Spa-Francorchamps. Da ist diese Geschichte die Stefan Bellof, dem tödlich verunglückten 27-Jährigen aus Giessen…

 

 

Ich gebe gerne zu: Der “Stibbig”, dem ich nur ein einziges Mal persönlich begegnet bin, weil ich 1984 spontan eine Oberstufen-Klausur an einem Moerser Gymnasium schwänzte, war mein großes Jugendidol. Dass ich nun ausgerechnet mit dem Mann zusammengebracht werden soll, den Stefan Bellof wenig schmeichelhaft “Jakob” genannt hat, ruft durchaus zwiespältige Gefühle hervor. Mit 22 Lenzen mache ich aber auch die Erfahrung, dass die Bipolarität zum Motorsport anscheinend dazugehört. Und so nehme ich mir vor, offen und unvoreingenommen an die Begegnung mit Jacky Ickx heranzugehen. Sein langjähriger Freund und Weggefährte Michael Beilke aus Düsseldorf hat dazu eingeladen. Dem sechsfachen Sieger der 24 Stunden von Le Mans wird ein kürzlich erst aufgebauter Porsche Carrera RSR zur Verfügung gestellt. Der Ex-Weltmeister soll Beilkes Fahrgäste in die hüteren Sphären des Spitzensports entführen. So auch mich – einen zwar talentierten, aber auch weitgehend mittellosen Grünschnabel ohne ein wirtschaftlich wie strategisch gewandtes Elternhaus im Rücken. Mich begleiten die guten Wünsche meiner Mutter – und eine brokatfarbene Weste, die sie mir in den Tagen vor der Abreise geradezu feierlich überreicht mit den Worten: “Damit Du vernünftig aussiehst!” Feinsinnig, wie sie nun einmal ist, vermeidet sie das Eigenschaftswort “endlich”.

 

Am 20. August 1989 erlebt das bunte Kleidungsstück seinen Einstand, freilich nur kurz: Ich darf leihweise in einen weißen Rennoverall schlüpfen, der mich Wochen später dazu verleitet, an der Clarissenstraße in Düsseldorf, Michael Beilkes Rennstall ist dort stationiert, ein paar Erinnerungsfotos von mir schießen zu lassen. Der Lichtbildner hinter meiner mitgebrachten Nikon-Kamera ist der Rennmechaniker Thorsten Hose – und der schnallt mich nun im Beifahrersitz an, als es in Zolder ernst wird neben Herrn Ickx. Der RSR besitzt einen 3,4-Liter-Motor mit 340 PS. Was damit möglich sein wird, erschließt sich mir noch nicht. Auch nicht nach einigen Runden mit Franz Konrad im Porsche 935 dp II auf dem Nürburgring. Jacky Ickx, der mich mit seelenruhigem Blick unter dem weiß umrandeten Visier seines nachtblauen Rennfahrerhelms in Empfang nimmt, legt los, als bräche ein Vulkan in ihm los. Wie vom Blitz erstarrt, ziehe ich die Sechspunktgurte noch in der Boxengasse nach. Hinter mir trompetet das von einer mechanischen Benzineinspritzung gespeiste Roitmayer-Triebwerk, heiser röhrend weist es auf die Ernsthaftigkeit meiner bevorstehenden Runden hin. “Du lieber Himmel!”, schießt es mir vor der ersten Linksbiegung durch den Kopf, “das kann nicht gutgehen!”

 

Monsieur Ickx zieht hart an – um ebenso hart wieder zu bremsen. Zum Stillstand kommt der RSR allerdings nicht, nach dem Verzögern geht es vehement weiter – ein Test, ob die Systeme ordnungsgemäß funktionieren. Der erste Einlenkpunkt naht! Jacky Ickx scheint ihn zu ignorieren, er beschleunigt im dritten Gang bis an die Drehzahlgrenze weiter. Erst dann sticht er in die Kurve hinein – für meine Begriffe mit viel zu viel Gas. Doch der Belgier leistet sich nicht die allerkleinste Lenkkorrektur. Kurven rasen heran. Nach dem Bergaufstück und einem rasanten Gefällestück mit einer Doppelschikane passiert Erstaunliches: Der RSR hat nun Reifentemperatur, doch Jacky Ickx lenkt weitaus weniger ein, als es die anstehende Richtungsänderung vermuten ließe. Dafür gibt er einen zusätzlichen Gasstoß, er lenkt tatsächlich mit dem rechten Fuß! So sind die gefürchteten Porsche 935 turbo unter Kontrolle gehalten worden – mit einem kurzen Kick aufs Gas, mit der Hacke ausgeführt. Ich staune nur noch: Das also zeichnet einen Weltklassefahrer aus! Ich erkenne sofort: Diesen Leistungsstand erreiche ich nie, niemals nicht in meinem Leben. Die kurz vor dem 18. Geburtstag im Rennradsattel ausgebrütete Schnapsidee, mein Geld dereinst als Berufspilot verdienen zu können, begrabe ich in diesem Moment.

 

Dann folgt die Schikane eingangs Start und Ziel heran, der Jacky Ickx den Namen gab: Die erste fliegende Runde folgt! Als der Porsche mit der Chassisnummer 911 460 9043 nach zwei Umläufen wieder in die Boxengasse einbiegt, frage ich meinen Chauffeur: “Wieviel Prozent waren das?” Der Gesichtsausdruck unter seinem Helm ist so seelenruhig wie zu Beginn, als er antwortet: “Fifty, maybe sixty percent!” Halbgas also. Und ich hätte schwören können, am absoluten Limit gewesen zu sein! Erkenntnis des Tages: Weltmeister sollten nie mit unseren Maßstäben gemessen werden. Auch dann nicht, wenn sie ein goldenes Alter erreicht haben – so wie ich inzwischen selbst. Denn auf dem Weg hierher nach Zolder, über die alte Staatsstraße N273, verfahre ich mich so nachhaltig, dass ich den Hotellier in Stokrooie nachts um halb eins aus dem Bett klingeln muss. Viel hat sich verändert auf dem Weg und auch abseits davon, der ganz normale Lauf der Welt in 29 Jahren – trotzdem ist die Dienstreise nach Zolder zum Motorsport-XL-Weekend auch ein Rückgriff auf ein zentrales Kapitel der eigenen Vergangenheit. Ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich das finden soll.

 

Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome Netzwerkeins