Veröffentlicht am: 15. Feb. 2020 um 09:11 Uhr

1978er Porsche 911 (930) turbo 3.3 Coupé, Heidl-Aufbau zur Kompressor-Singleturbo-Leistungsversion

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© Carsten Krome Netzwerkeins

Frühlingserwachen nach kurzen, stürmischen Wintertagen: Nachdem die letzte (Porsche-)Boxerstory des alten Jahres noch am 4. Dezember 2019 bei strahlendem Sonnenschein umgesetzt werden konnte, setzte sich der Weg etwas mehr als zwei Monate später fort. Mit Verspätung forderte der Winter doch noch seinen Tribut. Ein schmuckes Schloss im Südosten der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf war mitten im Februar der Schauplatz einer leider nicht besonders nachhaltigen Saisoneröffnung – auch die Straßen in der Umgebung waren in das Frühlingserwachen eingebunden. Was sich dabei in Szene setzte, mag auf den ersten Blick aus einer anderen, vergangenen Epoche stammen. Doch es setzt heute noch Maßstäbe – eine nachdrückliche Begegnung mit einem Pioniergeist alter Schule und seiner feuerroten, wilden (Fahr-)Maschine.

Na, dann fangen wir mal an! Der Winter war kurz und doch lang, da kommt ein Porsche-Großprojekt gerade recht – und was für eins! Hintereinander in Reihe geschaltet, liefern ein mechanischer Kompressor und ein klassischer Turbolader PS-Zahlen in der Region jenseits der 620 …

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Es ist einer der wenigen sonnigen Tage im Februar. Rolf Heidl, mit annähernd 77 Lebensjahren als ein Maestro in der (Porsche-)Sportwagen-Welt anerkannt, lädt ein zur ersten Boxerstory der noch jungen Saison. In der Erwartung eines sonnigen Frühlings hat er ein ambitioniertes Projekt zum – vorläufigen – Abschluss gebracht, das sein letztes gewesen sein könnte. In Handarbeit hat er aus einer ungenutzten Rohbau-Karosse eine diabolische Fahrmaschine erschaffen, die zwei Technologien miteinander kombiniert. Das hat bisher in dieser Form noch niemand umgesetzt, schon gar nicht in der in „Indischrot” lackierten Außenhaut eines Carrera RSR 3.0. Der Geniestreich schlechthin ist aber die Verbindung eines mechanischen Kompressors mit einem klassischen Abgas-Turbolader. Rolf Heidl führt einer KKK-Turbine durch den Kompressor vorverdichtete Ansaugluft zu. Aus diesem Prinzip resultiert die hintereinander geschaltete, zweifache Verdichtung, und diese führt wiederum zu einer schier hemmungslosen Leistungsexplosion. Fast grenzt es an ein Wunder, dass die Michelin-Reifen der Sorte „Pilot Sport“ in den Dimensionen 235/45-17 vorn sowie 335/35-17 hinten auf tiefschwarzen O.Z.-Rädern überhaupt in der Lage sind, die 620 Newtonmeter maximales Drehmoment auch nur halbwegs verlustfrei auf den Straßenbelag zu übertragen. Hintergrund: Die Abrollumfänge der 17-Zöller sind sorgsam gewählt, die erreichbare Höchstgeschwindigkeit liegt bei sagenhaften 322 km/h.

Nur nicht durchdrehen – in den lichtdurchfluteten Straßen der Großstadt: Die Beschleunigungsorgie aus dem tiefsten Drehzahlkeller heraus ist so brachial wie nachdrücklich – dass es überhaupt Reifen gibt, die das alles mitmachen!

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Aus dem tiefsten Drehzahlkeller heraus packt der mit allem Nachdruck geladene Sechszylinder-Boxer an wie ein wildes Tier. Der Adrenalin-Kick ist atemberaubend. Neben der brachialen Beschleunigungsorgie beeindruckt vor allem das Klangbild der roten Rakete von der Karl-Geusen-Straße in Düsseldorf-Eller: Es zischt, heult, brüllt und faucht wie in einer Raumkabine. Dabei bedient der Altmeister sein Volant mit einem diebischen Grinsen. Sichtlich angetan von seiner Schöpfung, kurvt der Vater des Porsche-Spezialisten Roland Heidl durch die vom ersten Licht des Frühlings durchfluteten Straßen des Düsseldorfer Stadtteils Eller – ein Bild, das sich einbrennt. Mehr als fünf Jahre hat das mutmaßlich letzte Großprojekt des Edel-Tüftlers aus Langenfeld in Anspruch genommen. In Eller haben sich Vater und Sohn Heidl vor einiger Zeit niedergelassen, hier prägen das gleichnamige Schloss und die Lore-Lorentz-Schule gegenüber die Szenerie – beides Landmarken, die dem handgefertigten Porsche-Einzelstück zur Ehre gereichen. Auf Schloss Eller wartet das Setting für die erste (Porsche-)Boxerstory des Jahres.

Frühlingserwachen: Awakenings – eigentlich ein Techno-Festival in den Niederlanden. Doch der fulminante Auftritt des Porsche an einem sonnigen Tag im Februar erinnert daran: Auch er versetzt Menschen in kollektive Verzückung.

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Da bricht sich auf einmal ein Schlagwort Bahn, das so unweigerlich wie unaufdringlich dem Frühjahrserwachen entspricht: Awakenings, an ein seit 1997 bestehendes Festival der niederländischen Techno-Szene angelehnt. So ganz weit hergeholt ist das nicht. Denn als sich die rote Rakete vor der Kulisse des historischen Gemäuers erst einmal eingerichtet hat, gerät alles, was Beine hat, in kollektive Verzückung. „Was ist das denn?“, fragen die ersten Umstehenden. Klar, ein Porsche – aber was für einer? Die tiefen Lachfalten des Erbauers erzählen von der Herrlichkeit der achtziger Jahre, von authentischen Typen, Zeitzeugen wie er selbst einer ist. Das Projekt hat seinen Ursprung in einem 1978 erstmals zugelassenen Porsche 911 turbo 3.3 (Typ 930) mit einem Karosserieumbau von Vittorio Strosek und einer Leistungssteigerung „so in etwa auf 620 PS bei zwei Ladern“, wie Heidl senior vage umreißt. Das Gros der Substanz floß in den Neuaufbau ein. Rolf Heidl plante den Verbau eines an den Carrera RSR angelehnten Umbaukits des Branchen- und Weggefährten Ekkehard Zimmermann. Am Heckabschluss sollte eine Variante ausreichend Raum für einen voluminösen Ladeluftkühler schaffen. Zimmermann hatte auch hier etwas Passendes anzubieten: Bereits 1983 schuf er nach dem erzwungenen Ende der Gruppe 5 – und damit auch des Porsche 935 – eine Straßenversion, die nicht nur durch ihre Eleganz bestach. Vielmehr wies der an den Porsche-Typ 930 in seiner 3.3-Liter-Serienausführung angelehnte Heckdeckel auf einen (vergleichsweise mäßig) leistungsgesteigerten Einzellader-Motor hin. Für Rolf Heidl stand fest: Diese nach oben höher bauende Haube wollte er für seine rote Rakete verwenden! Darunter brachte er in emsiger Detailarbeit all das unter, was schwerlich in die enge Triebwerkskammer zu passen schien: den Kompressor, den Riemenantrieb, den KKK-Turbolader, den selbst konstruierten und geschweißten Ladeluftkühler, dazu sämtliche Nebenaggregate. Da zu diesem Ensemble keine passende Auspuffanlage aus dem Regal erhältlich war, schweißte der Selfmademan seine Lösung selbst.

Warten aufs Herrchen: Selbst Rolf Heidls Hund „Pascha“ musste sich damit abfinden, dass der Verbau eines bald lebenslang angesammelten Fundus an Sonderteilen eben seine Zeit in Anspruch nimmt.

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Überhaupt sind etliche technische Einzelheiten in Handarbeit gefertigt worden – eine besondere Herausforderung für den passionierten Hundebesitzer. „Mein Pascha muss auf seine alten Tage noch immer auf sein Herrchen warten“, lacht Rolf Heidl und berichtet von der ersten Inbetriebnahme nach dem Neuaufbau: „Den ersten Prüfstandslauf habe ich abbrechen müssen“, lacht er hintergründig, „und wirklich am Limit war ich draußen noch nicht – dazu war es bisher zu kalt.“ Dass bei 7.000 Kurbelwellen-Umdrehungen 322 km/h anliegen, ist für ihn jedoch Fakt. Etliche Komponenten wie die Saug- und Abgasanlage mussten speziell gefertigt, andere hingegen konnten serienmäßig übernommen oder angepasst werden. Das Waste-Gaste öffnet ab 0,6 bar Turbo-Ladedruck und bleibt bis 1.2 bar und weiter darüber hinaus geöffnet. Die Verbrennung vergleicht der Altmeister mit einer „Explosion“, was die brachial einsetzende Urgewalt des Zweiventil-Treibsatzes erklärt. Die Kombination aus mechanischem Kompressor und einem Abgas-Turbolader begründet der Endsiebziger durchaus anschaulich: „Die Ansaugluft wird durch den Kompressor vorverdichtet und dem Turbolader zugeführt, der eine doppelte Verdichtung herbeiführt. Dieser Motor hat bereits in den unteren Drehzahlbereichen richtig viel Leistung.“ Trotzdem kommt er mit einer weitreichend serienmäßigen Kraftübertragung aus. Sowohl das Fünfgang-Schaltgetriebe des 930 turbo 3.3 als auch die Sachs-Sintermetallkupplung und die Antriebswellen sind für den Betrieb auf der Straße ausgerichtet – vielleicht nicht im Alltag, beim Brötchenholen. Dieses Nutzungskonzept wäre dann wohl doch etwas … profan.

Von geheimen Sauganlagen und Drosselklappen: Bei allen Superlativen ist dieses Statement Car vor allem eins: ein zum Porsche gewordenes Lebenswerk. Da spielt es keine Rolle, dass manches so oder eben so konfiguriert worden ist.

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Dass es bei diesem Porsche nicht einfach ist, ihn einem der üblichen Gattungsbegriffe von „Restomod“ bis „Tracktool“ zuzuordnen, liegt auf der Hand. Allem Anschein nach hat Rolf Heidl ihn gebaut, damit er von jetzt an ganz einfach da ist. Mit seiner (mindestens) 620 PS leistenden Kreation hat er sich ein Denkmal gesetzt, ein „Statement Car“ auf die dreiteiligen Räder gestellt, die mit Sternen aus Magnesium ebenfalls Sinn gemacht hätten. Warum aber ist er eigentlich nicht auf eine Idee gekommen, die doch so naheliegend ist? Im Momo-Look des legendären Porsche 934 turbo, Chassis #930 670 0167, von Dottore Gianpiero Moretti hätte er etwas verwirklicht, was bisher noch niemand angefasst hat. Aber dazu hat der bald 77-Jährige noch alle Zeit der Welt – denn die einmal gewählte Grundfarbe, die passt ja!

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#Awakenings: erste Boxerstory einer außergewöhnlichen Saison. Die rote Rakete von der Karl-Geusen-Straße. Zum Porsche gewordenes Lebenswerk.

Veröffentlicht am: 15. Feb. 2020 um 09:11 Uhr

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1978er Porsche 911 (930) turbo 3.3, Aufbau zur Kompressor-Singleturbo-Sportversion durch Rolf Heidl: die technische dokumentation in allen relevanten Details.

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