Während auf dem Nürburgring das 24-Stunden-Rennen die Nacht zum Tag macht, erinnert Autor Carsten Krome an eine Zeit vor den Selfies aus der Boxengasse. Das Stück über den Mönchengladbacher Privat-Rennfahrer Johannes Paczynski und seine Mitstreiter im luftgekühlten Porsche 911 RSR mag vor einigen Jahren entstanden sein. Doch im Zeitalter des Kommunikations-Overkills ist es aktueller denn je!

Eine Legende aus der Zeit vor den Selfies aus der Boxengasse: Porsche 911 RSR 3.8 (Typ 993) von Johannes Paczynski aus Mönchengladbach; Fotografie: Carsten Krome Netzwerkeins

Wo sind sie geblieben, die lebenden Legenden der BFGoodrich-Langstreckenmeisterschaft auf der Nürburgring-Nordschleife? Warum ist unter dem Arbeitstitel “Edgar Dören Trophy” nicht schon längst eine Kategorie geschaffen  worden, in der Fahrzeuge aus den 80er und 90er Jahren unter sich sind? Können Anreize gefunden werden, um luftgekühlte Zweiventil-Porsche – nämlich die mit den berühmten Vorbesitzern – zurück auf den Eifelkurs zu holen? Fragen über Fragen, auf die Johannes Paczynski gern eine Antwort wüsste. Der Mönchengladbacher Privatier setzt seit 2003 einen 993 Carrera RSR mit Saugmotor und Vorleben ein – Gesamtbetrachtung von der Entstehung bis zum exzessiven Umbau.

30. April 1995, Zolder in Belgien: Auf dem “Omloop Terlaemen” gastiert der deutsche “Super Tourenwagen Cup”, kurz STW. Bei wechselhaften Bedingungen – einmal ist es tropfnass, kurze Zeit später pustet aufkommender Wind die Strecke trocken – liefern sich die Werksteams von Audi, BMW, Nissan und Ford einen Schlagabtausch. Frank Biela aus Neuss sichert sich mit dem Audi A4 beide Durchgänge. Im Rahmenprogramm tritt ein belgisches Privatteam ähnlich souverän auf. Die Einheimischen Paul Kumpen und Albert Vanierschot dominieren mit einem neu aufgebauten 993 Carrera RSR den Carglass-Cup. Ihr drückend hohes Tempo lässt nur einen Schluss zu: Dem aktuellen Elfer gehört nicht nur in den Ausstellungen der Porsche-Zentren die Zukunft, sondern auch im Sport. Der Performance-Unterschied zu den bisherigen 964ern mit Saugmotoren ist auffällig, für die unterschiedlichen Höhenstände gilt dasselbe. Dieser eine 993 Carrera RSR liegt deutlich tiefer als seine Vorgänger, in den schnellen Kurven von Zolder scheinen Kumpen und Vanierschot mit ihren Gegnern zu spielen.

Für Lokalmatador Vanierschot, der schon zu Beginn der 80er Jahre mit einer Renault Alpine in der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft mitmischte, ist die Fahrt im Carrera auch eine Verkaufsveranstaltung. Unter der Firmierung AD Sport betreibt er unweit von Zolder eine eigene Rennwagen-Fertigung mit angegliedertem Einsatzteam. Paul Kumpen, Belgiens Rallyecross-Meister 1987 und Bauunternehmer, ist sein Vorzeigekunde. Das flämische Brüderpaar Koen und Kris Wauters, beide durch ihre Band Clouseau über Landesgrenzen hinaus bekannt, nimmt bei AD Sport eine noch prominentere Rolle ein. Die Strategie zeigt Wirkung. Denn zur Saison 1996 platziert der Düsseldorfer Michael Beilke einen Großauftrag. Er lässt einen 993 für den Carglass Cup und die 24 Stunden von Zolder aufbauen – in der Hoffnung, ein ähnlich potentes Gerät zu erhalten, wie es Paul Kumpen und Albert Vanierschot zu haben scheinen. Aus unerfindlichen Gründen wird Beilke jedoch enttäuscht. Schon beim ersten Aufgalopp in Zolder 1996 stellt er fest: Da fehlt etwas!

Zuhause in Deutschland lässt er nachbessern. Das ehrgeizige Ziel: die Wiederholung seines Erfolges bei den 24 Stunden von Zolder 1992. Damals teilt er sich mit Edgar Doeren und Peter Prosten einen Carrera RSR älterer Bauart. Ein erneuter Triumph – daran besteht kein Zweifel – wäre auch ein Gruß an Albert Vanierschot, der seit seinem Sieg bei der ersten Auflage 1983 als “König von Zolder” verehrt wird. Um es vorwegzunehmen: Keiner der beiden Kontrahenten triumphiert. Zwei Porsche 993 der Group GL – hinter diesem Kürzel steht mit Ghislain Lenaers ein weiterer Magnat der belgischen Szene – landen 1996 einen Doppelsieg. 1997 verschärft sich der Kampf um das wichtigste Rennen, das Zolder zu bieten hat. Das Porsche Center Antwerp steigt mit Berufsfahrern in die Auseinandersetzung ein. Prompt gewinnen Patrick Huisman, Vincent Vosse und Marc Goossens, während der Beilke-993 mit Antriebswellendefekt zurückfällt. 1998 wird die Luft für Amateurpiloten endgültig zu dünn. Die Siegermannschaft setzt sich wie schon im Vorjahr aus dem Le-Mans-Söldner Marc Goossens und Supercup-Seriensieger Patrick Huisman zusammen. Der dritte Mann: Ex-Formel-1-Star Thierry Boutsen! Nach verschiedenen Umbesetzungen tritt Michael Beilke mit den deutschen Langstrecken-Spezialisten Michael Irmgartz und Dr. Edgar Althoff an, aber nicht mit Formel-1-Fahrern. Das Pilotentrio erreicht Platz sieben, während Albert Vanierschot/Koen und Kris Wauters einen privat aufgebauten 993 Speedster auf den fünften Rang manövrieren.

1999 zieht Michael Beilke sich unverrichteter Dinge zurück, Dr. Edgar Althoff übernimmt den 993 RSR und setzt ihn im Veedol-Langstreckenpokal auf der Nürburgring-Nordschleife ein. Nach einem Abflug am Streckenabschnitt “Aremberg” verschwindet der blütenweiße Carrera von der Bildfläche. 2001 taucht er in der Spezial Tourenwagen Trophy, kurz STT, mit neuem Eigner wieder auf. Der Mönchengladbacher Bergrennfahrer Willy Frenz versucht sich im Rundstreckenmetier, wird aber nicht heimisch. Die Konsequenz Ende 2002: ein weiterer Besitzwechsel. Eigner Nummer vier wird Johannes Paczynski, der wie “Eddie” Althoff kaum ein Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife auslässt. Ab 2003 rollt der in Orange umlackierte Wagen in der BFGoodrich-Langstreckenmeisterschaft und dem 24-Stunden-Rennen mit. Um Haaresbreite erringen Paczynski, Bernd Haid, Thomas Koll und “Juppi” Bermes einen siebten Gesamtrang. Damit würden sie das 1998 in Zolder vorgelegte Resultat einstellen. Doch in der vorletzten Runde handeln sie sich im Streckenabschnitt “Wehrseifen” noch einen Reifenschaden ein. Mit dem Ersatzrad an Bord und dem Notwerkzeug gelingt die Schnellreparatur. Nach kurzem Aufenthalt an den Boxen nimmt der 993 der Privatfahrer die Zielflagge. Vier Positionen – und eine Platzierung unter den ersten zehn – kostet der Zwischenfall.

Johannes Paczynski konzentriert sich nach dem 24-Stunden-Rennen 2003 auf die BFGoodrich-Langstreckenmeisterschaft. Für einen erneuten Auftritt beim Eifel-Klassiker fehlen Fahrer mit ausreichender Barschaft. Der heute 57-Jährige kommt in Erzähllaune: “Nur des Geldes wegen möchte ich niemanden im Team haben, der mir beim Anfahren aus der Box die Kupplung kaputtmacht. Die Chemie und das fahrerische Können müssen schon stimmen. Was meinen Sie eigentlich, was ich schon alles erlebt habe?” Und weiter – unter der strikten Maßgabe, keine Namen zu nennen: “Nie werde ich meinen Miet-Fahrer für einen Tag vergessen, den mir ein Bekannter ans Herz legte. Erst war er auf der Nürburgring-Runde eine Dreiviertelminute langsamer als ich. Daran hätten wir noch arbeiten können. Aber wie man auf die Idee kommt, den Motor beim Zurückschalten 10.400/min hochdrehen zu lassen, will mir bis heute nicht einleuchten.” Mit Bernd Haid fand sich ein Stammpartner für einen längeren Abschnitt. Leider zog er sich verletzungsbedingt zurück – dem Vernehmen nach wegen eines Unfalls mit dem Straßenporsche. “Seitdem suche ich einen festen Teamkollegen”, klagt Johannes Paczynski, der sich als Solist in einem anderen Umfeld betätigen könnte und weniger Probleme zu bewältigen hätte. “Aber dann bekäme ich diese Mischung aus Mannschaftssport und Nordschleife nicht geboten. Das macht es für mich aus.”

Im Vergleich mit heutigen Renn-Elfern des Typs 997 ist der vor 14 Jahren aufgebaute 993 natürlich ein Auslaufmodell. Dass er bei der BFGoodrich-Langstreckenmeisterschaft starten darf, ist der Gruppe H zu verdanken. Sie dient als ein Auffangbecken für ältere Fahrzeuge. Allerdings, mahnt Johannes Paczynski, seien vorübergehend auch zu junge Semester mitgerollt. Das löste ein Wettrüsten aus. “Meinen 993 habe ich 2007 bis zum Exzess umgebaut.” Damit spricht er auf die Nase eines 911 GT1/1996, Dach- und Heckpartie eines 935 K3, nochmals modifizierte Kotflügel und einen Vierventilmotor aus dem 2005er 911 GT3 Cup an. Damit der wassergekühlte 996-Treibsatz überhaupt läuft, mussten Rohrleitungen von vorn nach hinten und wieder zurück nach vorn verlegt werden. Nur so kann die Kühlflüssigkeit längs zur Fahrtrichtung zirkulieren. Vorn in der Bugschürze wird sie vom Fahrtwind angeströmt und abgekühlt, hinten am heißen Treibsatz wird sie gebraucht. Gut und gerne 400 PS stehen zur Verfügung, während der alte, luftgekühlte Zweiventiler trotz seiner 3,8 Liter Hubraum über 350 PS niemals hinauskam. Sechs Vorwärtsgänge stellt das GT3-Cup-Getriebe mit Seilzug-Betätigung zur Disposition, ein Bilstein-Rennfahrwerk bürgt für ausgewogenes Handling. Stolz verweist Johannes Paczynski auf eine Aussage aus berufenem Munde: “Unser Gesamtpaket ist sehr ausgewogen. Das hat uns Ellen Lohr bescheinigt. Sie hat das Auto schon einmal in einem offiziellen Zeittraining gefahren.”

Weitere Auftritte der Berufspilotin – sie stammt wie Paczynski aus Mönchengladbach – scheiterten an ihrem Terminkalender. Dennoch stehen bisher 29 Klassen- oder Gruppensiege auf der Habenseite, dazu die schnellste Rennrunde. “Ich ziehe auch die Rückrüstung in den Ursprungszustand von 1996 in Erwägung. Dazu müsste das Reglement eindeutigere Rahmenbedingungen bereithalten – gleiches Recht für alle!”, fordert der Rheinländer. Die Organisatoren der BFGoodrich-Langstreckenmeisterschaft Nürburgring habe er auf eine Kategorie, die “VLN Legends” heißen könnte, bereits angesprochen. Die Reaktion habe ihn geärgert, fasst er den Ausgang der Gespräche zusammen. Für sein Anliegen – und das vieler Fans – machen wir uns an dieser Stelle gern noch einmal stark: Liebe Verantwortliche, integriert ab sofort Eure eigene Vergangenheit im Feld der attraktivsten Breitensport-Serie Europas! Und keine Angst vor denjenigen, die angeblich nur Neuwagen verkaufen wollen. Mit Ersatzteilen für ältere Modelle lässt sich ganz vorzüglich Geld verdienen.

Text und Fotos: Carsten Krome Netzwerkeins

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